Gropius-Meisterhäuser in Dessau Gropius-Meisterhäuser in Dessau: Traumhäuser im Kiefernwald

Dessau/MZ. - Unscharf, so sagen die Architekten der beiden „neuen“ Bauwerke in der Dessauer Meisterhaussiedlung, sei alle Erinnerung, und nur mit „Unschärfe“ könne wiederaufgebaut werden, was verloren war. Heute wird das nun wieder vollständige Ensemble eröffnet, und der Besucher wird die Materialisierung dieses Konzepts zum Beispiel im Blick aus den dunkelgrau mattierten Scheiben im Haus Gropius und Haus Moholy-Nagy erleben. Wie in einem milchigen Nebel tauchen die Umrisse von Kiefernwäldchen und weißen Kuben vor den Augen auf. Und mit etwas Fantasie kann man den Werdegang dieser zum Weltkulturerbe gewordenen Schöpfung sozusagen aus dem Dunst aufsteigen sehen.
Wohnen zwischen Kiefern
Im Jahr 1925, „an einem der letzten Tage im März“, wandern Walter Gropius, seine Frau Ise und der Dessauer Oberbürgermeister Fritz Hesse suchenden Blickes am Rand des Parks vom Georgium entlang. In seinen Erinnerungen hat es Hesse beschrieben, wie nach der Festlegung für den Bauplatz des Bauhauses ein weiterer möglichst nahebei für die „Wohnungen und Arbeitsräume der Bauhausmeister“ ausfindig zu machen war. Doch Gropius missfiel das „Villen-Viertel des Dessauer Vororts Ziebigk“, sagt Hesse, „weil man die Nachbarschaft zu den im Stil einer vergangenen Epoche errichteten Einfamilienhäusern hätte in Kauf nehmen müssen.“ Doch dann geriet das Waldstück an der Landstraße bei den „Sieben Säulen“ in den Blick, und da es der Stadt gehörte, war der Entschluss schnell gefasst, bejubelt von Ise: „In einem Kiefernwalde zu wohnen, war immer schon mein Traum.“
Die kleine Szene nimmt vorweg, noch bevor die „Meisterhäuser“ überhaupt gebaut sind, wie ihr Schöpfer will, dass man sie sieht. Ist es doch das Aufscheinen weißer Kuben zwischen Reihen dunkler Kiefern, die Lucia Moholy zu der rhythmischen Grafik ihrer weltweit verbreiteten Fotos komponieren wird, und es ist in der Architektur der Bruch mit dem großbürgerlichen Prunk und den historisierenden Formen, der das radikal Neue ankündigt.
Wie die Häuser in der NS-Zeit umfunktioniert worden, lesen Sie auf Seite 2.
Neuer Lebens- und Wohnstil
Die Entwürfe, wie auch die des Bauhausgebäudes, entstanden im privaten Architekturbüro von Gropius. Ineinander verschränkte und überkragende kubische Formen, gegliedert durch horizontale und vertikale Fenster, bildeten die Grundkonzeption für drei spiegelbildlich angeordnete Doppelhaushälften mit Ateliers (jeweils für einen der Meister) und, am Kopfende prominent platziert, das Direktorenhaus. Gropius zielt, vor allem im Direktorenhaus, auf die Ausprägung eines neuen Lebens- und Wohnstils. Filme und Bücher verbreiten die Kunde von Sonnenterrassen und Einbauküchen, von „Speisedurchreichen“ und „Tee-Ecken“.
Gropius selbst sollte mit seiner Familie das „vom unnötigen Ballast befreite Leben“ jedoch nur zwei Jahre lang genießen. Nach seinem Rücktritt folgte ihm Hannes Meyer, der als Vordenker von „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ lieber in einem „hauswirtschaftlich vereinfachten“ Haus gewohnt hätte. Ihm folgte der Ästhet Mies van der Rohe, der – wie auf „unscharfen“ Fotos zu sehen – das Wohn-Esszimmer seinem Minimalismus unterwarf und lichtdurchlässige Vorhänge vor die Verandafenster zog.
Im Katalogbuch zur Wiedereröffnung und der begleitenden Ausstellung ist viel neues dokumentarisches Material zur Abfolge der Bewohner der Siedlung ausgebreitet. Vor allem auf die Nutzung der Häuser in der NS-Zeit fällt viel Licht. Ab 1933 waren die Häuser an Mitarbeiter der mittlerweile enteigneten Junkers Flugzeugwerke vermietet, 1939 kaufte das fast völlig in die Kriegsproduktion einbezogene Unternehmen die Siedlung. In diese Zeit fällt der Eingriff in die „wesenfremde Bauart“, als kleine Fenster anstelle der Atelierfenster eingesetzt wurden.
Zerstörung im zweiten Weltkrieg
Die namhaftesten Bewohner waren leitende Angestellte der Werke: der Testpilot Karlheinz Kindermann im Haus Gropius und der Prokurist Heinrich Hagemann im Haus Moholy-Nagy. Welch Ironie, dass die Fliegerbomben vom 7. März 1945 gerade ihre Häuser zerstörten, die eingebauten Luftschutzkeller aber immerhin ihr Leben retteten.
Die gravierendste Folge dieser Kriegsschäden war zu DDR-Zeiten der Bau des „Hauses Emmer“ in traditionellen Formen auf dem Souterrain von Haus Gropius (1956), und die bleibende Baulücke anstelle von Haus Moholy-Nagy, während die übrigen Häuser im Verschleiß jahrzehntelanger Dauernutzung ihr Aussehen fast gänzlich einbüßten.
Warum sich die Rekonstruktion der Meisterhäuser über Jahrzehnte hinzog, lesen Sie auf Seite 3.
Jahrzehntelanger Streit um "richtige" Rekonstruktion
Als 1994 im ergrauten und entstellten Ensemble das Feininger-Haus als erstes in Weiß und wiederentdeckten farbigen Akzenten restauriert wurde, war es für die anderen nur eine Frage der Zeit und der Förder- und Sponsorengelder, dem Beispiel zu folgen. Dennoch tobten am Haus Klee/Kandinsky (1998/1999) und auch am Haus Muche/Schlemmer (2001/2002) immer neue Grundsatzdebatten über die Frage, ob und wie viele Zeitspuren die Restaurierung bewahren müsse, von Fensterformen bis zu Blümchentapeten. Als 2002 die Stadt das Haus Emmer kaufte und so die volle Wiederherstellung der Siedlung in den Blick rückte, trat die Frage „Rekonstruieren oder nicht?“ in den Mittelpunkt. Wer eine Geschichtslektion wünschte, empfahl, das Satteldachhaus als Zeitdokument stehen zu lassen, wer die Konzeption von Gropius wiedersehen wollte, verlangte den originalgetreuen Nachbau der Häuser. Durchsetzen sollte sich der „dritte Weg“. Es war die Stiftung Bauhaus, noch unter Omar Akbar, die die „Aktualisierung der Moderne“ propagierte und einen Wettbewerb ausschrieb.
Doch der endete 2008 ohne befriedigendes Ergebnis (kein erster Platz), aber mit der Idee, anstelle der fehlenden Häuser Bauten derselben Umrisse und Proportionen entstehen zu lassen. Daraufhin moderierte David Chipperfield, Architekt des Neuen Museums in Berlin, einen begrenzten Wettbewerb, den das Berliner Büro Bruno, Fioretti, Marquez gewann.
"Unschärfe" als neues Konzept
Die Architekten entwickelten das Konzept der „Unschärfe“, für das sie Beispiele in der Konzeptkunst zitierten. Erinnerung sei nie vollständig und genau, so wie die Unschärfe der historischen Fotos von den Meisterhäusern. Umgesetzt wird das mit Bauten, die ihr Urbild „abstrahieren“, als Silhouette, aber ohne alle schmückenden oder funktionalen Details. Innen öffnen sich Räume durch zwei (Haus Gropius) und drei Geschosse (Haus Moholy-Nagy), in denen die alte Raumstruktur wie „aufgeklappt“ und sonstwie verfremdet erscheint. Im Haus Gropius soll es Ausstellungen, im Haus Moholy-Nagy Veranstaltungen geben. Die Diskussion über so viel „freie Interpretation“ der Meisterhäuser wird nun, mit der Eröffnung, wohl erst richtig beginnen.



