Glaswerkstätten Quedlinburg Glaswerkstätten Quedlinburg: Vom Licht, Antikem und neuen Wünschen

Quedlinburg/dpa. - Wie ein großes Puzzle liegen Dutzendegrünliche Glasstücke auf der großen Arbeitsplatte vor Belinda Sieber.Manche sind schon mit Bleischienen miteinander verbunden, anderewerden noch zusammengefügt. Dass durch dieses Glas in meterhohenFenstern einmal Licht in die Barockkirche Langenweddingen fällt, istnicht recht vorstellbar. In den Glaswerkstätten Schneemelcher inQuedlinburg wird altes Glas restauriert - es entsteht aber auch vielModernes in dem Familienbetrieb in der Harzstadt. Von Kirchen in Rombis zu modernen Wohngebäuden in Berlin haben die 18 Mitarbeiter der Werkstätten schon ihre kunsthandwerklichen Spuren hinterlassen.
Am Rand der Werkstatt stehen die Fenster aus Langenweddingen beiMagdeburg, wie sie in die Werkstatt kamen: verstaubt, das Bleiverbogen, das Glas zersplittert. «Die Bleifelder lagen wie ein HaufenSchrott hinter den Bänken», erinnert sich Firmeninhaber FrankSchneemelcher an den Anblick in der Kirche Langenweddingen. DerBleiglasermeister, der das Unternehmen in vierter Generation führt,empört sich noch heute über den Frevel aus der DDR-Zeit. Die buntenFenster waren mit weißer Latexfarbe überstrichen worden. «Man hattesie offenbar als sehr minderwertig eingeschätzt», sagt der 45-Jährige. «Nach einer alten Probe empfinden wir von der Farbe bis zuden Lufteinschlüssen alles nach und lassen es anfertigen», erklärtBelinda Sieber. Das Einfassen in Blei geschieht dann wieder inQuedlinburg.
Die Restaurierung alten Glases hat in den vergangenen Jahren inden Quedlinburger Glaswerkstätten stückweise an Bedeutung eingebüßt.«Neuanfertigungen machen bei uns inzwischen einen Anteil von 70Prozent aus», sagt Schneemelcher. Seine Erklärung: «Die Architektensind so an ihre Grenzen gestoßen, dass das Detail der Verglasungwieder wichtig wird.» Öffentliche Gebäude folgten mit viel Beton undgroßen Fenstern immer öfter einem Schema, Individualität müsse her.
Von diesem Trend, den er ausgemacht hat, versucht der Firmenchefmit neuen Technologien zu profitieren. «Es hat sich in denvergangenen paar Jahren mehr getan, als in den 100 Jahren davor»,resümiert der Bleiglasermeister, dessen Unternehmen jährlich rundzwei Millionen Euro Umsatz macht. Aus schon eingesetzten,handelsüblichen Fensterscheiben bringt er mittels SandstrahltechnikApplikationen auf, die bei sehr großen Fenstern das Gefühl desPräsentiertellers verringern helfen. Aulen oder Gedenkräumen könnedas einen ehrwürdigen Charakter verleihen, sagt Schneemelcher: «Mitder Sonne entsteht ein Kunstwerk, das sich minütlich verändert.»
Apropos Kunstwerk: Auf einer Schicht Kreide in einem Ofen liegengerade orange-grau bemalte Glasscheiben - im Gegensatz zurkunsthandwerklichen Arbeit an den Kirchenfenstern für Langenweddingenentsteht hier ein Kunstwerk. Der Wernigeröder Glasgestalter GünterGrohs hat riesige Fenster für eine Kirche in Wuppertal entworfen.«Die Rosetten haben einen Durchmesser von fünf Metern oder sogardrüber», sagt Glaserin Belinda Sieber. Bei 820 Grad verformen sichhier die Scheiben im Ofen, die zuvor von den vier Malern derWerkstätten ihre Farbe erhalten haben.
Die Werke der Quedlinburger sind unter anderem zu sehen in derDeutschen Nationalkirche in Rom, im Märkischen Viertel in Berlin,aber auch in vielen Kirchen, Verwaltungs- und Wohngebäuden kreuz undquer durch das Land. In der Werkstatt aber sehen Belinda Sieber undihre Kollegen so gut wie nie ein fertiges Werk, denn Probescheibenwerden meist an den Original-Gebäuden eingesetzt, während sie anihren Werkbänken an anderen Scheiben arbeiten. Deshalb gehtSchneemelcher mit seiner Belegschaft ein- bis zweimal im Jahr aufeine Besichtigungstour zu den Bauwerken, in denen ihre Arbeit steckt.