Gewandhaus Leipzig Gewandhaus Leipzig: Romantische Großmeister im Rausch der Perfektion
Leipzig/MZ/kil. - Die Konzertbühneist und bleibt für jedes Orchester, jedenSolisten ein Ort der Wahrheit - ein Ort, andem das Live-Erlebnis meist recht schonungslosan der Perfektion einer von Tonmeisterhandzurechtgefeilten Aufnahme gemessen wird.
Vesselin Stanev freilich braucht sich vordem Podium nicht zu fürchten. Seine technischenFähigkeiten sind in einer Weise über die musikalischeMaterie erhaben, die ihm ein virtuoses Programmgeradezu auferlegen. Am Donnerstag gastierteder 1964 geborene bulgarische Pianist, derseit Jahren von der Firma Ferag gefördertwird, im Leipziger Gewandhaus.
Stanev, der am Moskauer Tschaikowski-Konservatoriumund bei Alexis Weissenberg in Paris studierthat, sucht nicht nach Nischen im Repertoire.Er nimmt sich, das legte auch das Programmdieses Abends nahe, die größten, schönstenBrocken der Romantik vor. Als Tastenlöwe magman ihn trotzdem nicht bezeichnen, denn derBulgare pflegt das bescheidene Auftreten ebensowie einen lyrischen, empfindsamen Ton.
Er ist keiner, der die berühmten Klopfmotiveaus Beethovens Appassionata-Sonate hammerhartin die Tasten meißelt. Sie sind bei ihm stetsin den gesamten Werkkontext eingebettet, sindTeil des symphonisch aufgefächerten Klangs.Gerade bei der Appassionata überraschte Stanevaber auch durch Details: Die Synkopen zu Beginndes dritten Satzes entwickelte er, mit Hilfeminimaler Temporückungen, zu Sprungfedern- die ihn stringent Richtung Schluss katapultierten.Dieses progressive, also nach vorne gerichteteDenken, beherrschte auch Stanevs Lesart derherrlichen Brahms-Fantasien op. 116 - derenForm er bei aller gebotenen Subjektivitätstets wahrte.
Chopins Etüden op. 10 jedoch lagen dem Bulgarenvielleicht noch näher - jedenfalls spielteer sich hier in einen virtuosen Rausch, dessenFaszination gerade von der federnden Leichtigkeitseines Anschlags genährt wurde. Vesselin Stanevmusste sich nicht durchs Unterholz des Chopin'schenSatzes kämpfen - er schwebte einfach darüberhinweg. Und schlug mit der letzten, der "Revolutionsetüde",sogar den Bogen zum heroischen Ton der Appassionata.
Auf CD: Veselin Stanev, Werke von Chopin,Ravel und Rachmaninow, Gega New 2000.