1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Geschichte: Geschichte: Vor 70 Jahren erklärt Hitler Polen den Krieg

Geschichte Geschichte: Vor 70 Jahren erklärt Hitler Polen den Krieg

Von Rudolf Grimm 10.08.2009, 08:38
Führer und Reichskanzler Adolf Hitler (Mitte links am Tisch) stärkt sich während eines Besuchs des Kriegsschauplatzes in Polen 1939 mit einem Essen aus der Gulaschkanone. (FOTO: DPA)
Führer und Reichskanzler Adolf Hitler (Mitte links am Tisch) stärkt sich während eines Besuchs des Kriegsschauplatzes in Polen 1939 mit einem Essen aus der Gulaschkanone. (FOTO: DPA) dpa

HAMBURG/DPA. - Uns bleibt nichts anderes übrig, wir müssen handeln.»Großbritannien sei nicht in der Lage, Polen zu helfen. Auch gebe esdort nirgends Interesse an einem langen Krieg.

Am Abend vorher war öffentlich bekannt geworden, dassAußenminister Joachim von Ribbentrop mit seinem sowjetischen KollegenWjatscheslaw Molotow in Moskau einen deutsch-sowjetischenNichtangriffspakt ausgehandelt hatte. Der Pakt mit dem ideologischenFeind würde die bei einem Krieg gegen Polen gedrohte EinkreisungDeutschlands ausschalten. Damit erfüllte das Abkommen seinenHauptzweck für Hitler.

Doch er verlor nicht aus den Augen, dass die Eroberung von«Lebensraum» noch weiter im Osten sein «höchstes und letztes Ziel»war, wie der britische Historiker Alan Bullock in seinem Werk «Hitlerund Stalin» konstatiert. Am 11. August hatte Hitler dem SchweizerCarl Jacob Burckhardt, Hoher Kommissar des Völkerbundes in Danzig, ineinem Gespräch gesagt: «Alles, was ich unternehme, ist gegen Russlandgerichtet. Wenn der Westen zu dumm und zu blind ist, um dies zubegreifen, werde ich gezwungen sein, mich mit den Russen zuverständigen, den Westen zu schlagen und dann nach seiner Niederlagemich mit meinen versammelten Kräften gegen die Sowjetunion zuwenden», sagte Hitler, wie Burckhardt in «Meine Danziger Mission1937-1939» berichtet (1960).

Dies Zitat wird in den meisten Darstellungen der Begegnung Hitler-Burckhardt erwähnt. Seine Authentizität ist aber auch angezweifeltworden. Doch gibt es Hitlers Intentionen, wie dazu der BerlinerHistoriker Hagen Schulze in einem Text über den August 1939konstatiert, treffend wieder. Mancher sah in einem Polenfeldzug auchdie erste Etappe der Realisierung seiner schon seit den zwanzigerJahren gehegten «Lebensraum»-Vorstellungen. Am 22. Juni 1941 griffder Diktator dann die Sowjetunion an.

Trotz der durch den Pakt mit Stalin deutlich verbessertenSituation stand Hitler Ende August wegen der ihn beunruhigendenHaltung Großbritanniens weiter unter Druck. Schon am 31. März hatteder britische Premier Neville Chamberlain erklärt, seine Regierungwerde im Fall eines Angriffs auf Polen dessen Regierung «alle inihrer Macht stehende Hilfe» gewähren. Am 23 August lässt er durchBotschafter Neville Henderson mitteilen: «Welcher Art auch immer dasdeutsch-sowjetische Abkommen sein wird, so kann es nichts anGroßbritanniens Verpflichtung gegenüber Polen ändern.» Am 25. Augustbekräftigt er seine Haltung durch den Abschluss einesBeistandsabkommens mit Polen.

In der NS-Hierarchie wurde das sich Abzeichnende keineswegseinheitlich beurteilt. Der Diplomat Albrecht von Kessel, der damalsim Auswärtigen Amt tätig war, schildert seine Eindrücke in seinenpostum veröffentlichten «Aufzeichnungen». «Ribbentrop will den Krieg,koste es, was es wolle, denn er will Rache an England nehmen»,schreibt Kessel. Von Propagandaminister Joseph Goebbels heißt es,«diesem schlauen Rechner sagt der Gedanke des Krieges nicht zu».Generalfeldmarschall Hermann Göring und der Stellvertreter desFührers Rudolf Heß neigten vielleicht noch stärker als Goebbels zumFrieden. Der Generalstab stehe auf der Seite des Friedens, aber derChef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, und eine kleineClique hetzten zum Krieg.

Am 1. September ist es dann soweit: um 4.30 Uhr fallen an derdeutschen Ostgrenze die ersten Schüsse. Am Spätnachmittag gibt dasOberkommendo der Wehrmacht bekannt, die deutschen Truppen seien inflüssigem Vorgehen auf ihre Tagesziele. Die Stimmung der Menschen imReich liegt zwischen Sorge und Resignation - ganz im Gegensatz zurBegeisterung bei Kriegsbeginn 1914. Am 17. September marschiertensowjetische Truppen in Ospolen. Im geheimen Zusatzprotokoll zumdeutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt hatten das Deutsche Reich unddie Sowjetunion sich Polen bereits aufgeteilt.

Am Morgen des 3. September geht in der Reichskanzlei ein Ultimatumaus London ein: Großbritannien werde sich um 11 Uhr im Kriegszustandmit dem Deutschen Reich befinden, wenn dieses nicht seine Truppen ausPolen zurückziehe. Wie versteinert sitzt Hitler da und blickt vorsich hin. Dann sieht er den in der Nähe stehenden Ribbentrop an undfragt: «Was nun?». Kurz darauf folgt ein ähnliches französischesUltimatum.

Am 6. Oktober kapitulieren die letzten polnischen Feldtruppen.Doch der vor fünf Wochen begonnene Krieg sollte noch lange dauern -bis am 9. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht vorihren alliierten Gegner in Kraft tritt. Hitler hatte sich zehn Tagevorher im Bunker der Reichskanzlei mit einem Pistolenschuss in dierechte Schläfe das Leben genommen.