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Geschichte Geschichte: Und immer hört die Wanze mit

Von Christian Eger 18.03.2007, 19:28

Halle/MZ. - In welchem Außmaß und vor allem mit welchen Methoden das geschah, erstaunt wiederum doch.

Der Leipziger Verleger und Germanist Mark Lehmstedt, der bereits in einem bewunderungswürdigen Kraftakt vor einem Jahr Mayers "Briefe aus Leipzig 1948-1963" herausgab, legt nun die von ihm selbst kommentierten Dokumente zum "Fall Mayer" nach. Das sind zum größtenteils Berichte der Stasizuträger. Abgelauschte Gespräche darunter zwischen Mayer und dem Philosophen Ernst Bloch (1885-1977), der ein flammender, aber kein DDR-regimetreuer Linker war, und 1957 von seinem Leipziger Lehrstuhl entfernt wurde. Am Ende des Jahres 1956 beginnt die Bespitzelung Mayers, die dieser zunächst nicht wahrnehmen will. Gegenüber dem Spitzel "Lorenz" erklärt er, dass er kein Misstrauen hege. Dass "die Professoren Müller in Jena und Hadermann in Halle von Spitzeln umgeben seien. An ihrem Institut in Leipzig sei das aber gottseidank nicht der Fall."

Zu links und lebendig

Hier irrte Mayer, und nicht nur hier. Man darf wohl feststellen, dass bereits sein Wechsel 1948 von West nach Ost auf einer Fehleinschätzung beruhte. Golo Mann hatte ihn gewarnt. Aber Mayer wollte den Lehrstuhl, den Zuspruch, die große Bühne. Es hätte ja auch gut gehen können als Marxist, Antifaschist und Jude. Aber Mayer passte nicht. Er war zu intelligent für den Apparat. Zu brillant, ehrgeizig, links, aber nicht dogmatisch. Zu vital und streitbar. Zudem kindlich eitel, was den DDR-Alltag der hierarchisierten Kränkung auf Dauer unerträglich machen musste. Der Propagandastrang der DDR-Literatur war Mayer ein Gräuel: "kein Naturschutzgebiet". Da wollte die Firma Mielke Genaueres wissen.

Es ist vor allem der GI (Geheime Informant) "Wild", der hier scharfes Material liefert. Aber "Wild" ist keine Person, sondern eine Wanze, ein Abhörgerat, das in der Wohnung Blochs installiert worden war. Trotzdem beginnen die "Wild"-Berichte, als würde da ein lebendiger Spitzel berichten. Am ersten Januar 1961: "Als ich verschiedene Arbeiten im Haushalt der Familie B. ausführte..." Völlig surreal. So könnte dieses Buch auch heißen: GI Wild: "Gespräch im Hause Bloch über den abwesenden Herrn" - wahlweise - Stalin, Ulbricht oder Fröhlich. Was zu erfahren ist: Bloch und Mayer erwägen, besser nach Österreich oder in die Schweiz, statt nach Westdeutschland zu fliehen. Mayer verteilt sarkastische Kopfnoten. Volkskammer-Präsident Dieckmann? "Eine Schießbudenfigur." Vize-Kulturminister Abusch? "Ein Arschloch im Quadrat." Der Leipziger SED-Chef Fröhlich? "Ein absoluter Gauleiter." Stalin heißt "Zinnober".

Die SED, der Mayer nicht angehörte? "Das Prinzip der Partei, die Menschen zu äußersten Schurkereien und zur Selbstentfremdung zu führen, sei schlimmer als jeweils im Kapitalismus." Im beschämenden Kontrast dazu das doch eilfertige Entgegenkommen Mayers, wenn sich die Macht ihm nur einmal persönlich widmet. Und sogar die Universität Halle rückt in den Blick. Hier hatte Mayer 1948 den Lehrstuhl ausgeschlagen, der später von Ernst Hadermann (1896-1968) besetzt wurde; der sucht nun seinerseits Zuspruch bei Mayer.

Zwischen den Stühlen

Mayer wiederum versucht, dem halleschen Kollegen Edgar Kirsch, der im NS-Staat Karriere gemacht hatte, die Lage zu erschweren. Erfolglos. Und für alle Seiten. Im Sommer 1963 stellt die Stasi ihre Bespitzelung ein, im Herbst bleibt Mayer im Westen. Sofort tritt der Verfassungsschutz auf den Plan: Da sein ein undurchschaubarer Marxist eingetroffen... Mayer, ein gesamtdeutscher Intellektueller.

Stadtbibliothek Leipzig: Festabend für Hans Mayer, Dienstag 20 Uhr, u. a. mit Volker Braun, Christoph Hein, Erich Loest