Germanistik Germanistik: Schriftstück von Walther von der Vogelweide entdeckt

Augsburg/dpa. - Der Augsburger Germanistik-Professor Freimut Löser freut sich über eine kleine Sensation: Bei der Suche nach geistlichen Handschriften ist er auf eine bisher unbekannte Variante eines Minnelieds von Walther von der Vogelweide gestoßen.
«Eigentlich habe ich Handschriften mit Predigten gesucht», erzählt Löser von dem seltenen Glücksfall. In einem tschechischen Archiv in Brünn habe er ein Buch aufgeschlagen und bemerkt, dass zur Verstärkung des Buchdeckels Pergament-Handschriften eingeklebt waren.
Bei näherer Untersuchung konnte der Germanist das Wort «Nakcht» entziffern. Da gingen bei ihm sofort die Alarmlampen an, denn dieses Wort gebe es in dem berühmten Gedicht «Si wunderwol gemachet wip» von Walther von der Vogelweide. Und tatsächlich konnte er den Vers rekonstruieren, in dem der Dichter schildert, eine Dame «nackt» gesehen zu haben, ein im Mittelalter beliebtes «Venus-Motiv».
Walther von der Vogelweide (um 1170 bis etwa 1230) gilt als einer der wichtigsten deutschen Dichter des mittelalterlichen Minnesangs. Der letzte Fund einer Handschrift zu Walthers Minnesang liegt über 90 Jahre Jahre zurück. Er war als «Münstersches Fragment» im Jahr 1912 der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
«Bei dem Brünner-Fund handelt sich um eine späte Handschrift aus dem 14. Jahrhundert, deren Urheber unbekannt ist», beschreibt der Germanist seine Entdeckung, die er für «unbezahlbar» hält. Diese Variante des Minneliedes zeige für die Mittelalter-Germanistik zwei Besonderheiten: es handle sich um eine eigenständige Version des schon bekannten Gedichts, Schrift und Wortwahl bezeugten eine bayerisch-österreichische Herkunft des Textes. «Davon haben wir von Walther nicht sehr viele Zeugnisse», erläutert Löser. Die meisten Textzeugnisse von Walther von der Vogelweide stammten aus dem schweizerisch-alemanischen Raum.
«Diese neue Textversion ist für unser Fach sehr wichtig», erläutert Löser weiter. Er zeige, dass die Strophenfolge des Gedichts nicht festgelegt war und geändert werden konnte, so dass auch eine Verschiebung des Sinns möglich war. Dieses Gedicht wurde im Mittelalter bei Hofe vorgetragen, etwa als Schönheitspreisung einer Frau. Die germanistischen Details des Brünner-Funds will Löser jetzt in einer Fachzeitschrift dokumentieren.