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"Geh zu den Kiefern" "Geh zu den Kiefern": Klopstock-Preisträgerin Marion Poschmann im Interview

30.08.2018, 10:00
Marion Poschmann: „Das Fremde erlaubt einen frischen Blick auf die Dinge“.
Marion Poschmann: „Das Fremde erlaubt einen frischen Blick auf die Dinge“. arnde dedert/picture alliance

Berlin - Marion Poschmann gehört zu den bedeutenden Dichterinnen Deutschlands - und seit ihrem Roman „Die Kieferninseln“ zu den erfolgreichsten Erzählerinnen.

Für das Buch wird die in Berlin lebende Autorin in Quedlinburg mit dem Klopstock-Preis für neue Literatur des Landes Sachsen-Anhalt geehrt. Mit Marion Poschmann sprach unser Redakteur Christian Eger.

Frau Poschmann, sind Sie Kaffee- oder Teetrinkerin?
Marion Poschmann: Teetrinkerin. Sogar ausschließlich.

Ich frage das, weil Sie in Ihrem Roman eine schlüssige landschaftliche Tee- und Kaffee-Theorie präsentieren.
Poschmann: Es geht um Tee- und Kaffee-Länder. In den Kaffee-Ländern herrscht eine Kultur des deutlich sichtbaren Objekts, in den Tee-Ländern sind die Dinge mit einem Schleier der Mystik überzogen. Die Wahrnehmung lässt Raum für Uneindeutigkeit.

Zu welcher Kultur gehört Deutschland?
Poschmann: Es ist eher als Kaffee-Land einzuordnen. Während im Norden, vor allem in Ostfriesland, noch eine gewisse Tee-Kultur herrscht.

Das heißt, im Norden gibt es eine Tendenz zum Verhangenen, zum Rätselhaften.
Poschmann: Ja, das macht sich auch gleich beim Wetter bemerkbar. Da gibt es den Stormschen Nebel, der da wallt, Landregen, Stürme, und sofort wird eine Landschaft ungewiss.

Ihr Roman erzählt von einem erfolglosen Privatdozenten, der in dem Wahn, dass seine Frau ihn betrügen würde, Hals über Kopf von einem Kaffee- in ein Tee-Land flüchtet, das er eigentlich gar nicht mag: nach Japan. Was bietet Japan, was Deutschland nicht hat?
Poschmann: In meinem Buch ist Japan das Fremde. Das, was weit weg ist von dem Gewohnten. Es stellt sich aber heraus, wie bei jeder Reise, dass man seine Probleme, sich selbst, überall mit hin nimmt. Und das Fremde entpuppt sich als das allzu Vertraute.

Trotzdem lässt sich im Blick auf ihren Roman sagen, dass Reisen nicht nur bilden, sondern auch retten kann. Was ist das Rettende am Reisen?
Poschmann: Die Fremde erlaubt einen frischen Blick auf die Dinge. Obwohl es sich bei Japan um ein Tee-Land handelt, bei dem nicht alles so klar einzuordnen ist, wie man es gern hätte. Man kann das Fremde, das Nicht-Gewohnte, als etwas für sich Bestehendes betrachten. Meinem Buch ist ja ein Motto vorangestellt des Haiku-Dichters Matsuo Basho: „Willst du etwas über Kiefern wissen - / geh zu den Kiefern.“ Das, was man meint in- und auswendig zu kennen, soll man noch einmal mit ganz neuen Augen sehen.

1969 in Essen geboren, studierte Marion Poschmann Germanistik, Philosophie und Slawistik. Für ihre Prosa und Lyrik wurde sie vielfach geehrt. Für ihren Roman „Die Kieferninseln“ erhält sie den mit 12.000 Euro dotierten Klopstock-Preis für neue Literatur des Landes Sachsen-Anhalt.

Der Roman „Die Kieferninseln“ (Suhrkamp, 168 Seiten, 20 Euro) erzählt von dem Privatdozenten Gilbert Silvester, Bartforscher im Rahmen eines universitären Drittmittelprojekts. Nachdem er geträumt hatte, dass seine Frau ihn betrügt, flieht er nach Japan, um Abstand zu gewinnen. Dort fallen ihm die Reisebeschreibungen des Dichters Basho in die Hände, und plötzlich hat er ein Ziel: Er will den Mond über den Kieferninseln sehen. Zufällig trifft er auf den Studenten Yosa, der mit einer Anleitung zum Selbstmord ausgestattet, ganz andere Ziele verfolgt.

Die Preisverleihung findet am 3. September um 19 Uhr im Palais Salfeldt in Quedlinburg statt. Den mit 3.000 Euro dotierten Klopstock-Förderpreis erhält die in Halle lebende Autorin Anna Sperk für ihren Roman „Die Hoffnungsvollen“. Die Lobrede auf Marion Poschmann hält der FAZ-Redakteur Andreas Platthaus, die Laudatio auf Anna Sperk der Schriftsteller André Schinkel.

Sie schreiben, dass es in Deutschland undenkbar wäre, dass sich ein Mensch wegen eines Baumes auf eine lange Reise machen würde.
Poschmann: Als ich in Japan war, fand ich auffällig, wie intensiv sich die Menschen dort der Betrachtung der Natur, speziell der Bäume widmen. Im Frühjahr wird die Kirschblüte betrachtet, im Herbst das rotgefärbte Ahornlaub. Das ist in Deutschland nicht denkbar. Vielleicht auch, weil wir eine christlich geprägte Kultur haben, die der Natur nicht so großen Stellenwert beimisst, wie das in Japan der Fall ist. Das macht viel aus. Und was die Kiefern betrifft, unsere Kiefern sind tatsächlich auch nicht so schön. Die Kiefern im brandenburgischen Forst sind Nutzholz, die Krone ist kaum ausgebildet, der Stamm zieht ganz gerade nach oben. Eine Kiefer, die wild wächst, ist knorrig, verzweigt, hat eine völlig andere Form. Ist sehr individuell. Tatsächlich etwas, das man sehr lange ansehen kann.

Frau Poschmann, Sie werden im Namen Klopstocks geehrt. Was sagt ihnen dieser Autor?
Poschmann: Ich habe mich mit Klopstock relativ viel beschäftigt. Als mich die Nachricht vom Klopstockpreis erreichte, hatte ich am Abend vorher das Klopstock-Kapitel in Vietors „Geschichte der deutschen Ode“ gelesen. Das war eine merkwürdige Synchronizität. Mich interessiert an Klopstock der Umgang mit dem Rhythmus. Klopstock hat den Begriff des Wortfußes geprägt, dabei geht es um bedeutungstragende Betonung. Ich glaube, wenn man sich mit Vers und Metrik beschäftigt, kommt man um Klopstock nicht herum, weil er derjenige ist, der diese Dinge in der Lyrik entscheidend erneuert hat. Auf ihn geht auch der freie Vers zurück.

Steht Ihnen Klopstock auch inhaltlich nahe?
Poschmann: Man hält Klopstock heute vor, dass er es mit dem hohen Ton vielleicht etwas übertrieben hat. Er wurde schon zu Lebzeiten nicht mehr gelesen. Der „Messias“ traf anfangs noch auf Begeisterung, dann wurde es den Leuten zu viel. Es war zu viel des Guten. Aber die Tatsache, dass Klopstock das subjektive Gefühl in die Lyrik gebracht hat, ist etwas, was bis heute nachwirkt. Er hat sich stark gemacht für die Würde des Einzelnen.

Klopstock gehörte zu den ersten freien Schriftstellern in Deutschland. Sein Blick auf die Gesellschaft war patriotisch, im Wortsinn seiner Zeit also gemeinnützig, geprägt. Wie erleben Sie Deutschland in seiner gegenwärtigen Verfasstheit? Das gesellschaftliche Klima hat sich erhitzt, ist konfrontativer geworden.
Poschmann: In meinem persönlichen Umfeld ist eigentlich alles ruhig, nach wie vor. Aber wenn man sich die Nachrichten ansieht, das was zum Beispiel in Chemnitz los ist, das ist Besorgnis erregend. Das hat sich in den letzten Jahren verschärft.

Beeinflusst das Ihre Arbeit?
Poschmann: Ich glaube, man bleibt auch als Schriftsteller nicht unberührt, wie sich das in meinen Büchern niederschlägt, wird sich zeigen. Ich versuche, mich mit meiner Arbeit aus dem aktuellen politischen Geschehen herauszuhalten und eher indirekt, aus einem gewissen Abstand zu operieren. Literatur ist etwas, was Zeit braucht, ich kann nicht wie im Journalismus direkt auf eine Situation reagieren, denn um eine gesellschaftliche Lage in einem Kunstwerk sichtbar zu machen, bedarf es auch der Arbeit an einer zeitgemäßen Form. (mz)