1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Geburtstag von Frankie "the Voice": Geburtstag von Frankie "the Voice": Frank Sinatra wäre jetzt 100

Geburtstag von Frankie "the Voice" Geburtstag von Frankie "the Voice": Frank Sinatra wäre jetzt 100

Von Christian Bos 12.12.2015, 19:33
Frank Sinatra hätte heute seinen 100. Geburtstag gefeiert. Tatsächlich wurde er 82 Jahre alt.
Frank Sinatra hätte heute seinen 100. Geburtstag gefeiert. Tatsächlich wurde er 82 Jahre alt. AP Lizenz

New York - Es war eine traumatische Geburt. An deren Ende das Kind, an der linken Seite seines Gesichtes und Halses tiefe Wunden von einer unsachgemäß angewandten Geburtszange, verloren schien. Die Ärzte legten es zur Seite, da war wohl nichts mehr zu machen, und kümmerten sich um die Mutter.

Bis sich die Großmutter in spe resolut den Säugling griff, ihn unter kaltes Wasser hielt und mit der flachen Hand auf den kleinen Rücken schlug. Das war der Moment, am 12. Dezember des Jahres 1915 in Hoboken, New Jersey, an dem die Welt zum ersten Mal die Stimme vernahm, die einmal die berühmteste des 20. Jahrhunderts genannt werden würde. Sie gehörte Francis Albert Sinatra, dem Jungen, der überlebte. Der sich durchboxte. Immer wieder.

Heute denkt, wenn er den Namen Frank Sinatra hört, niemand an den schmächtigen Jungen, dem die anderen Kinder „Narbengesicht“ hinterher riefen. Die Wunden der Geburt hatten ihre Spuren hinterlassen, der rachsüchtige Sinatra träumte davon, dem Arzt, dem er sie zu verdanken hatte, selbst welche zu verpassen.

Kellner mit den großen Ohren

Heute kann sich niemand mehr Sinatra als den Kellner mit den großen Ohren vorstellen, der für 15 Dollar die Woche in einer Gaststätte namens „The Rustic Cabin“ nicht nur Drinks servierte, sondern auch sang. Ja, selbst der elegante Nachtclub-Crooner kommt den wenigsten in den Sinn, der sich in den Big Bands von Harry James und Tommy Dorsey seine ersten Meriten (und jetzt immerhin schon 125 Dollar in der Woche) verdiente, seinen Gesangsstil an Dorseys entspanntem und flüssigem Posaunenspiel schulte. Und von Sinatra als dem ersten wahren Popstar liest man nur in Abhandlungen über die Erfindung des „Teenagers“ oder in Vergleichen zwischen der Beatle- und der ihr um 20 Jahre vorauseilenden Sinatramania. Obwohl der junge Star – dem einstigen „Narbengesicht“ warfen sich nun die Mädchen scharenweise zu Füßen – damals schon den Beinamen erhielt, der ihn zeit seines Lebens begleiten sollte: „The Voice“, die Stimme.

Nein, das Bild Frank Sinatras, welches sich durchgesetzt hat, ist das vom „Chairman of the Board“ – in der deutschen Übersetzung vom „Vorstandsvorsitzenden“ schwingt deutlich weniger Sex mit. Das vom Jack Daniel’s schwappenden, filterlose Camels inhalierenden Cheftyrannen jener Las-Vegas-Gang aus Midlife-pubertierenden Smokingträgern – mit Dean Martin, Sammy Davis Jr., Joey Bishop und Peter Lawford als erster Garde einer gewaltigen Entourage – die Lauren Bacall das „Rat Pack“ taufte.

Deren Ausschweifungen zwischen den Blackjack-Tischen und den Luxussuiten des Sands- oder des Sahara-Hotels beschäftigen bis heute die Fantasie des Publikums, ein James-Bond-artiger Traum von einer entwicklungsgehemmten Männlichkeit und ihrer verdrehten Moral: Du kannst die Sau rauslassen, solange nur deine Anzugshose keine Falten wirft und dein Toupet fest sitzt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter.

Schuld ist die erfolgreiche Selbst-Mythologisierung des Rat Pack, das sich selbst im Übrigen lieber „The Summit“ (der Gipfel) nannte. Auch nicht besser. Schuld ist auch der amerikanische Edelreporter Gay Talese, dessen „Esquire“-Essay „Frank Sinatra hat eine Erkältung“ als Initialzündung des „New Journalism“ gilt, geboren aus Sinatras Unwillen, dem Reporter ein Interview zu gewähren und dem fast Stalker-haften Willen des Reporters, seinem Objekt möglichst nahe auf die Pelle zu rücken, koste es Spesen, was es wolle.

Talese beschreibt in beneidenswert gut gesetzten Worten, wie der Entertainer mit seinem Hofstaat durch die USA reist, wie er mit einer unberechenbaren Mischung aus Grausamkeit und Großzügigkeit herrscht, weiser Pate und hitzköpfiger Handlanger in einem.

In Zwiesprache mit dem Mikrofon

Aber das ist nicht der Sinatra, an den wir uns an seinem hundertsten Geburtstag erinnern sollten. Ein schönes Coffeetable-Buch, das jetzt bei Knesebeck erschienen ist, zeigt auch noch einen ganz anderen Mann. Einen Mann, ganz allein in Zwiesprache mit einem Mikrofon.

Nie war Sinatras Bariton klarer gewesen, als während seiner Jahre als Teenie-Idol. Dann kam der Absturz, der Alkohol und die Affären, die kreuzunglückliche Ehe mit Ava Gardner, der Liebe seines Lebens, deren Scheitern den zähen Mann aus Hoboken mehrmals an den Rande des Selbstmords führte.

Gerettet hatte ihn erst der Oscar für seine Rolle als Gefreiter Angelo Maggio in „Verdammt in alle Ewigkeit“. Als „wütenden kleinen Mann, der zugleich ein guter Mensch war“, beschrieb Burt Lancaster, der Star des Films, die Rolle – und könnte Sinatra selbst gemeint haben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter.

Mit wiederhergestellten Selbstbewusstsein, vom harten Leben aufgerauter Stimme und dem Wissen darüber, wie man seine persönlichen Verluste in künstlerische Erfolge verwandeln kann, betrat Sinatra im April 1953 die KHJ-Studios seiner neuen Plattenfirma Capitol an der Melrose Avenue in Los Angeles. Er traf auf den Arrangeur und Orchesterleiter Nelson Riddle und begann mit der Arbeit an denjenigen Alben, die seinen Ruf, der beste Sänger des 20. Jahrhunderts zu sein, begründen sollten. „Gott, ich bin wieder da! Baby, ich bin wieder da!“, soll er ausgerufen haben, als er die Playback-Bänder anhörte. Ein seltener Verlust seiner Contenance.

Von „Swing Easy!“ (1954) bis zu „Nice ’n’ Easy“ (1960) hielt die heroische Phase seiner Karriere an, in der sich lebenslustig swingende Platten mit Sammlungen verschatteter Balladen abwechselten. Das Medium der Langspielplatte war noch ganz neu und wurde zumeist genutzt, um Single-Hits mit Studioausschuss zu vermengen und so ein zweites Mal zu verkaufen. Sinatra aber nutzte die lange Strecke, um sich noch einmal neu zu erfinden.

„In The Wee Small Hours of the Morning“ (1955) gilt mit seinem Songzyklus über einen Mann, der verlassen und in die Einsamkeit der Nacht ausgespuckt wird, als eines der ersten Konzeptalben. Niemand kann so verlassen klingen wie Sinatra und dabei doch jede Silbe korrekt phrasieren. Auch später noch sollte ihm das ein oder andere außergewöhnliche Werk gelingen, seine letzte wirklich gute Platte „Watertown“ (1969) ist seine anspruchsvollste, die Geschichte eines gebrochenen Mannes. Der war Sinatra sicher nicht, auch wenn er sich selbst als „18-karätigen Manisch-Depressiven“ beschrieb. Der vor schwärzesten Hintergründen am hellsten funkeln konnte.