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Friedrichstadtpalast Friedrichstadtpalast: Revue mit «Fräulein Kurvenreich» und «Herrn Sexy»

Von Simone Andrea Mayer 23.09.2010, 09:23
In der Maske von Europas größtem Revuetheater Friedrichstadtpalast herrscht eineinhalb Stunden vor Showbeginn geschäftige Gelassenheit. (FOTO: DPA)
In der Maske von Europas größtem Revuetheater Friedrichstadtpalast herrscht eineinhalb Stunden vor Showbeginn geschäftige Gelassenheit. (FOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - Hinter den Mauern von Europas größtem Revuetheaterherrscht eineinhalb Stunden vor Showbeginn geschäftige Gelassenheit.Ein Paar von Berlins schönsten Tänzerbeinen schlurft in Jeans undPuschen durch die Gänge und tritt vor den Bühneneingang desFriedrichstadtpalasts. Dort sitzt schon ein anderes Paar inausgebeulter Jogginghose mit Winterboots und schnappt Luft. Die Beinewerden übereinandergeschlagen. Puschen und Boots wippen nebeneinanderher.

Ein Mann daneben isst Thai-Nudeln aus der Box, Bühnenarbeiterrauchen, drei Mädels quatschen. Wer hier Tänzer, wer Musiker, wersonst was auf der Bühne ist, das erkennt man nur an den Schuhen. «DieTänzer tragen vor der Show immer warme Pantoffeln oder Stiefel, umdie Füße warm zu halten», sagt Carolin Wagner. Die Tänzerin mitgerader, eleganter Haltung steht auf und schlurft zügig in RichtungMaskenraum. Ihre Vorbereitungszeit hat begonnen, sie hat genaueineinhalb Stunden Zeit bis Showbeginn.

Carolin muss um Punkt 18 Uhr in der Maske erscheinen. Kommt sie zuspät, kommen auch die ihr im Schminkplan nachfolgenden Tänzerinnen zuspät aus der Maske. Alles ist genau durchgeplant hinter den Kulissen:Wer wann geschminkt wird, wer sich wann aufwärmt, und wer wann aufdie Bühne muss. Bis zu achtmal pro Woche wird diese Routineabgespult, zwei Jahre lang pro Show.

Und obwohl das Programm «YMA» (gesprochen: Ima) erst seit wenigenWochen in der Friedrichstraße 107 gezeigt wird und die Nummern undAbläufe noch neu sind, gibt es von Hektik, Aufregung, gar Nervositätkeine Spur. Stattdessen dringt fröhliches Lachen durch die Gänge.«Nö, aufgeregt bin ich nicht mehr. Wir kennen uns alle schon langemit Auftritten aus», sagt Carolin.

20 Männer und 44 Frauen umfasst das Ensemble, alles ausgebildeteTänzer. Aus der Damengruppe rekrutiert sich einer der Höhepunktejedes Abends - die Showgirl-Reihe, die als längste der Welt gilt.Jene Kette von 32 langbeinigen Mädchen, die synchron die schlankenBeine in die Luft werfen.

Carolin sitzt mit geschlossenen Augen in der Maske, lacht miteiner Kollegin im Nebenstuhl und lässt sich genau zehn Minuten langschminken. Die Maskenbildnerin Eva-Maria Jung muss schnell arbeiten.Rasch gehen Pinsel, Döschen und Tuben durch ihre Finger. Rund 60Tänzer bemalen sie und ihre Kollegen jeden Abend in etwas weniger alseiner Stunde. Sie trägt dickes Make-up und neon-pinkes Rouge auf dieWangenknochen auf, der Lippenstift ist barbie-rosa, weißesGlitzerpuder kommt auf die Stirn. Über die dunkel geschminkten Augenklebt sie falsche Wimpern.

«Alle müssen frisch und strahlend aussehen. Und das Make-up mussstark sein, damit es auf der Bühne auch gesehen wird», sagt Jung.Carolin tanzt in ihrer ersten Nummer in rund 55 Meter Entfernung zumZuschauer in der ersten Reihe. Das ist eine lange Distanz für einrosa-ummaltes Lächeln und rosige Wangen.

Carolins Weg auf die Bühne hat etwa fünf Kilometer entfernt in derStaatlichen Ballettschule begonnen. Sie besuchte diese jahrelang alsSchülerin. Mit 17 trat sie erfolgreich gegen eine Masse Mädchen umeine Handvoll freier Stellen am Friedrichstadtpalast an. Seit sechsJahren gehört die nun 23-Jährige zum Palast-Ensemble. Ein Traum, wiesie sagt.

Seither steht sie an sechs Tagen pro Woche auf der Bühne, Fest-und Feiertage inklusive. Obendrein muss sie jeden Morgen um 10 Uhrzum vierstündigen Training im Ballettsaal antreten. Ein Teil derTänzer hält das nicht lange durch und steigt nach einigen Jahren aus,andere bleiben ihr Leben lang.

Die Theaterroutine treibt Carolin an. Noch gut eine Stunde bisShowbeginn. Jeder Tänzer sucht sich ein Fleckchen zum Warmmachen.Manche stretchen sich am Bühnenrand, andere hängen sich an dasTraining der Kindergruppe im dritten Stock dran. Musik tönt durch denBallettsaal, Kinder toben umher oder üben das Beine-in-die-Luft-Werfen, einige schreiben am Boden sitzend Hausaufgaben in dieSchulhefte. Dazwischen recken die Profis ihre Beine, kreisen Arme undbeugen die Knie. 20 Minuten müssen reichen, sagt Carolin. «Einbisschen Dehnen, aber kein Ausdauertraining. Das würde den Körpernoch vor der Show kaputt machen.»

Im Ballettsaal riecht es nach Staub, Schweiß und muffigenKleidern. Carolin hält sich an der Stange fest, hebt ihr rechtes Beinans Ohr und beugt den Oberkörper nach links. Professionelles Tanzenist auch ein Spagat für die Gliedmaßen. Etwas, was gegen die Naturdes Körpers zu sein scheint. Aber, Carolins Körper ist dadurch auchgestählt: Die Oberschenkel sind glatt, die Waden und der Po rund, derBauch ist flach, die Brust straff.

Ins Ensemble aufgenommen würden nur schöne Menschen, sagtBallettdirektorin Alexandra Georgieva. «Wir zeigen hier traditionellsehr attraktive Frauen. Wir wollen doch als Zuschauer Schönes sehen.»Die Mindestgröße für Frauen liegt wie bei Fotomodels bei 1,73 Metern.Die größte Dame der Truppe hat bei 1,83 Meter Körpergröße eineBeinlänge von 1,12 Meter.

Der Friedrichstadtpalast will nicht das Schönheitsbild desBallett-Liebhabers bedienen, sondern eher das aus dem Fernsehen.Klassische Tänzer erkennt man oft am mageren, ausgemergelten Körper,hervortretenden Knochen und der blassen Haut. Das können die Spurenvom jahrelangen Training und von Diäten sein. «Meine Frauen habenaber einen Hintern und Brüste. Ich nehme keine Magermodels», sagtGeorgieva.

Die 43-Jährige tippelt auf schwarzen Absatzschuhen über denabgewetzten Parkettboden des Probensaals, auf dem sonst ihreBallerinas tanzen. 18 Jahre lang wiederholte sie darauf selbst jedenTag unzählige Male Schrittfolgen, jetzt ist sie die Trainerin. «Ichweiß, wie anstrengend das hier ist», sagt sie.

Georgieva behält sich daher auch das Recht vor, die Tänzer, die zudünn werden und trotz der täglichen Belastungen zu stark auf dieFigur achten, schon mal zum Gespräch über ausreichendes Essen zubitten. «Nur so kann jeder die Leistung erbringen, die wir täglichvon ihm einfordern.» Das Revuetheater stehe in der Tradition der«Goldenen Zwanziger Jahre» mit sinnlichen Frauen. Georgievabeschreibt das so: «Schlank, trainiert, aber eben mit Kurven.»

Und die Männer? «Meine Männer sind sexy», ruft sie aus und deutetKörperformen in der Luft an. «Sie haben einen Sixpack, manche sogareinen Eightpack. Und alle, Männer wie Frauen, haben eineAusstrahlung. Alles starke Persönlichkeiten.»

«Fräulein Kurvenreich» und «Herr Sexy» schlurfen derweilmiteinander quatschend und schon im Bühnenoutfit an Georgieva vorbeidurch die Gänge, als diese in Richtung Bühne geht. An den Füßen,klar, die warmen Schuhe. Carolin streift indes in der Garderobe ihreTrainingsjacke ab und steigt in einen strumpfhosenartigenGanzkörperanzug in Hautfarbe. Darüber zieht sie einen durchsichtigen,weißen Body.

So angezogen und geschminkt fällt es am Eingang zur Bühne schwer,eine spezielle Tänzerin im versammelten Ensemble auszumachen. Blonde,Brünette, Rothaarige, Weiße, Farbige, alle sehen irgendwie gleichaus. Die Gesichter unter dickem Make-up, die Haare unter einem Hutverborgen, an den Füße tragen sie goldene Stöckelschuhe. DasSchlurfen über den Boden ist leisem Klackern gewichen. Alle lächeln,wenn sie angeschaut werden. Sie sind bereit für das Publikum.

Es ist 19.30 Uhr. Obwohl nur eine Wand und wenige Sekunden dieTänzer von ihrem ersten Auftritt trennen, wird hier im sogenanntenStauraum noch übers Kino und über die neue Jeans gequatscht. Danngeht die Tür zur Bühne auf. Kurzes «Klack, Klack, Klack» und allesind auf die Bühne entschwunden. Die Tür schließt sich, die Musikstartet.

Während im Saal der erste Teil Gänsehaut-Gefühl beginnt,beschleunigt sich im Hintergrund mit Showbeginn der Takt derTheaterroutine. Denn keine zehn Minuten später ist Carolin wieder da.Sie lächelt noch immer ihr strahlendstes Bühnenlächeln. Und schnauft.

Schnell in die Garderobe klackern, Puschen an, die Jackeüberziehen, über den Gang schlurfen, vor der Tür Luftschnappen undwieder rein. Kostümwechseln, wieder über Gänge schlurfen, Abpudern,neue Perücke auf, Schuhe an, klackernd zurück zum Bühneneingang. Siehat dafür vielleicht 20 Minuten Zeit.

Dann ist es plötzlich 20.15 Uhr. Die letzte Nummer vor der Pausesteht an und es wird eben jene berühmte Showgirl-Reihe sein. DieMädchen kichern jetzt im Stauraum. Was sonst, schließlich sind auchnoch 32 «Herren» im Raum. Einer für jede - und jeder gleich gutaussehend. Mit einem schnellen Griff um die Taille zieht Carolinforsch ihren Partner zu sich.

Der Typ rollt auf Rädern heran, sein Hut ist tief nach untengezogen, die Arme hängen herunter. Die Tänzerin fährt den Hals derAnziehpuppe im Männeranzug so weit aus, bis diese ihr tief in dieAugen schauen könnte. Ja, statt ihres lebenden Partners haben dieMädchen bei diesem Auftritt Kleiderständer an ihrer Seite. Carolingibt «ihrem Kerl» einen Klaps auf die leere Stelle in der Hose, wosein Hintern sein müsste. Er rollt los, Carolin winkt noch mal undklackert hinterher auf ihre Bühne. Kurz zuvor quillt es noch aus ihrheraus: «Das ist einfach das Richtige für mich, deswegen bin ichhier.»

Aus der Damengruppe rekrutiert sich einer der Höhepunkte jedes Abends, die längste Showgirl-Reihe der Welt. (FOTO: DPA)
Aus der Damengruppe rekrutiert sich einer der Höhepunkte jedes Abends, die längste Showgirl-Reihe der Welt. (FOTO: DPA)
dpa