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Friedrich Nietzsche Friedrich Nietzsche: Was den Herrenmenschen am Übermenschen gefiel

Von GÜNTER KOWA 19.05.2009, 17:31

NAUMBURG/MZ. - Als Außenstelle des Stadtmuseums dagegen finanziell und personell schwerlich in der Lage, das Spektrum des Denkers Nietzsche in die Tiefe auszuloten. Vielleicht wird das anders, wenn die "Richard F. Krummel-Bibliothek", die auf dem Nachbargrundstück im Bau ist, eröffnet wird und die neu gegründete Nietzsche-Stiftung dort einzieht. Geplant ist, dass diese auch die Leitung des Museums übernimmt.

Aber trotz der begrenzten Spielräume hat sich der Leiter des Stadtmuseums, Siegfried Wagner, im Haus nicht auf bloße Nietzsche-Biografie beschränkt. Vielmehr hat er in den vergangenen Jahren, gemeinsam mit dem Publizisten Jens Fietje-Dwars aus Jena, einige Themen aufgegriffen, die in der Wirkungsgeschichte des Philosophen eine große Rolle gespielt haben. Sein Frauenbild zum Beispiel ("Vergiss die Peitsche nicht..."), aber auch die Frage, was seine Schwester und Nachlassverwalterin Elisabeth Förster-Nietzsche an Text-(Ver-)Fälschungen anzulasten ist und was nicht.

Ein heißeres Eisen aber gibt es nicht als die Wirkung Nietzsches auf den Nationalsozialismus. Die Ausstellung scheut vorhersehbaren Widerspruch nicht und lässt Nietzsche aus einem Dutzend Schautafeln in Zitaten und Reizworten sprechen. Gleich am Anfang: "Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen, und man soll ihnen dazu noch helfen." Oder auch: "Es gibt Fälle, wo ein Kind ein Verbrechen wäre". Wer denkt da nicht an Euthanasie? Oder an den Wahn, "eine Herren-Rasse heraufzuzüchten"? Diktatoren und Ideologen haben sich auf Nietzsche berufen. Elisabeth rühmt Mussolini als "herrlichen Jünger Zarathustras". Alfred Rosenberg hört man 1944 zu Nietzsches 100. Todestag vom Künder deutscher Größe schwadronieren.

Doch Nietzsche und Hitler? Die Kuratoren wissen, dass dies keine einfache Gleichung ist. Vor dem berühmten Foto von Heinrich Hoffmann, das 1934 den "Hitler, wie ihn keiner kennt" vor der Büste des schnauzbärtigen Philosophen im Weimarer Nietzsche-Archiv zeigt, stimmen sie nicht in die plakative Bild-Botschaft ein, der Tat-Mensch schließe mit entschlossener Miene den Pakt mit dem Denker. Fritz Rölls Büste steht als Original zwischen Foto und Betrachter, der eingeladen ist, bei Hitler eher "Zweifel, Ängste, Hass" zu erkennen.

In "Mein Kampf" bedient er sich bei Nietzsche, zitiert ihn aber nicht namentlich. Für den Bau der "Gedächtnishalle", die Paul Schultze-Naumburg bieder genug entwarf, zeigte er kaum Interesse. Und so wie in der Vorhalle unter Nietzsches ausdrücklich benannten Vorbildern sowohl Schopenhauer, aber auch Voltaire zu finden sind, rieben sich die Nationalsozialisten in viel Pseudo-Fachliteratur an der Ambivalenz seines Denkens.

So rührt die Ausstellung auch an den Antisemitismus. Gerade dafür liefert der Philosoph keine eindeutigen Belege. Die Ausstellung unterschlägt, dass Nietzsche aus dem antisemitisch durchdrungenen intellektuellen Umfeld des 19. Jahrhunderts herausragt. Eine historische Text-Kritik wird nicht geübt. Nietzsches Anti-Antisemitismus speist sich aus seiner Abkehr von Wagner und er war in der Lage - worauf auch Richard F. Krummel hingewiesen hat - noch ganz andere Visionen zu entwerfen. 1883 erinnert sich der österreichische Jude Joseph Paneth, ein Freund Sigmund Freuds, in Briefen an Gespräche mit Nietzsche über eine mögliche Rückkehr der Juden nach Palästina. Der Philosoph, sagt er, sehe darin eine Chance, dass das Volk zu der Größe findet, die es "vor der Diaspora" hatte.

Dass Nietzsche auch den Rassismus nicht verantwortet, wird mit Textstellen belegt, die Hitler in den Ohren gedröhnt haben müssen. "Verlogen" nennt der Philosoph jene "Rassen-Selbstbewunderung", welche "sich heute in Deutschland als Zeichen deutscher Gesinnung zur Schau trägt". Und er verhöhnt "die Antisemiten, welche ihre Augen christlich-arisch-biedermännisch verdrehen und .. alle Hornvieh-Elemente des Volkes aufzuregen suchen."

Doch es gibt auch subtile Botschaften. "Die Juden sind es gewesen, die gegen die aristokratische Wertgleichung gut = vornehm, mächtig = schön, glücklich = gottgeliebt ... die Umkehrung gewagt ... haben, nämlich die Elenden allein sind die Guten, die Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen sind allein die Guten ...". So habe "jenes priesterliche Volk" einen "Akt der geistigsten Rache" an seinen "Feinden und Überwältigern" geübt.

Auf Nietzsches Kulturkritik und "experimentelles Denken" geht die Ausstellung nicht ein. Aber das Echo auf Nietzsches Denkanstöße ist für das 20. Jahrhundert nicht zu leugnen, und so ist die Sache, um die es geht, weiter aktuell: die Verantwortung des Intellektuellen für seine Worte.

Ausstellung bis 1. November: Di-Fr 14-17 Uhr, Sa, So und Feiertage 10-16 Uhr