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Friedrich Gulda Friedrich Gulda: Die Faust auf den Tasten

Von Andreas Hillger 23.04.2003, 08:56

Halle/MZ. - Thomas Bernhards Meisterwerk "Der Untergeher" fordert und verdient eigentlich stumme Lektüre - oder aber die angemessene Begleitung durch die Goldberg-Variationen von Glenn Gould, dessen Klavier-Exerzitien diesen Roman als Maßstab der Vollkommenheit und als Anlass des Zusammenbruchs durchziehen. Wenn man dem österreichischen Autor allerdings auf heimischem Terrain begegnen will, bietet sich als Alternative nun die längst überfällige Wiederveröffentlichung von Friedrich Guldas Bekenntnis-Anthologie "The complete Musician" an. Denn dieses Werk übersetzt Bernhards Erzählen von Streben und Scheitern kongenial in eigenwillige Klangwelten.

Den Vorwurf der Unvollkommenheit hätte der 1930 in Wien geborene Gulda zu seinen Lebzeiten freilich ebenso weit von sich gewiesen wie jene Nachrufe, die ihn nach seinem Tod vor drei Jahren dann doch zuverlässig ereilten. Sein egomanisches Credo "Ich bin der wichtigste kreative Musiker der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts", das von seinen Kritikern zunächst bestätigt und später zunehmend bezweifelt wurde, ist auch mit den zum Jahreswechsel 1978 eingespielten Werken selbstbewusst verwoben. Und so muss man das Versprechen des "kompletten Musikers" doppeldeutig verstehen: Einerseits behauptet das exzentrische Genie damit die Bandbreite seiner musikalischen Interessen. Andererseits aber fordert er auch die uneingeschränkte Anerkennung seiner gestalterischen Fähigkeiten ein.

Allein aus dieser Meisterschaft legitimiert sich nämlich das gewöhnungsbedürftige Crossover der drei CDs, deren Beiheft den Exegeten die Richtung deutet. "Wenn du spielst, kümmere dich nicht darum, wer dir zuhört", notiert Gulda dort die Weisung von Robert Schumann, dessen "Mondnacht" ebenso wie Schuberts "Wanderer" eine eigentümliche Anverwandlung erfährt. Zuvor begegnet man Ravels "Gaspard de la nuit" neben Auszügen aus Debussys "Images" und "Preludes", hernach folgen Strauß, Bach und Beethoven - sowie immer wieder Friedrich Gulda.

So lässt sich der bekennende Verächter der Konzert-Konzerne, der einst nackt gegen den Frackzwang protestierte und den Beethoven-Ring im Namen des "großen Revolutionärs" zurückgab, auf intimste Weise erfahren. Drei Präludien und Fugen von Bach kontert er durch seine eigene Jazz-Komposition "Für Rico", in der die sonst trockenen Clavichord-Töne ebenso souverän swingen wie in seiner "Arabisch-zigeunerischen Fantasie".

Und während er dort neben den Saiten auch Bongos traktiert, greift er sich bei Dizzy Gillespies "Night in Tunisia" oder bei Cole Porters "What is this thing called love" die Altblockflöte, die vom Bass-Mann Wayne Darlings sowie vom Drummer Erich Bachträgl begleitet wird.

Dieser leichtsinnige Wechsel zwischen dem unumstrittenen klassischen Repertoire und den eher suspekten, weil noch nicht kanonisierten Kompositionen von eigener wie fremder Hand wird jedoch stets durch Virtuosität und Charakter beglaubigt. Dass als Essenz einer langen Karriere vom früheren Favoriten Beethoven nur zwei Bagatellen und eine Sonate übrigbleiben, muss nicht verwundern. Denn nachdem Gulda dessen Klavierwerk ebenso enzyklopädisch behandelt hat wie Mozarts Sonaten, erinnert er nun eher den Geist des Komponisten: "Ich habe gehört, dass Beethoven, als er auf dem Totenbett lag, die Faust gegen die Welt schüttelte, weil sie ihn nicht verstand." Das ist die Wut - doch den versöhnlich ironischen Kommentar liefern die "G'schichten aus dem Golowinerwald": "Oh Gott, wie rührt mich dies."