Bürgerrechtlerin Freya Klier Freya Klier: Autorin aus Berlin spricht über die AfD, die Wende und die DDR

Berlin - Am zweiten Februar 1988 wurde Freya Klier gemeinsam mit dem Liedermacher Stephan Krawczyk aus der DDR ausgebürgert. Sie waren im Zuge der offiziellen Rosa-Luxemburg-Demonstration in Ostberlin verhaftet worden, an der Teile der DDR-Opposition teilgenommen hatten. Mehr als 150 Menschen wurden verhaftet. Freya Klier, 67, lebt als Autorin und Filmemacherin in Berlin. Mit ihr sprach unser Redakteur Christian Eger.
Frau Klier, „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“ Sie haben das Luxemburg-Zitat populär gemacht. Freya Klier: Mit Stephan. Wir hatten es gemeinsam herausgesucht.
Gilt diese Freiheit auch für die Neue Rechte, die Identitären? Freya Klier: Ja, klar, die sind ja nicht verboten. Die sitzen mit der AfD im Bundestag. Ich liebe sie überhaupt nicht, aber sie haben das Recht und das Wort. Sie müssten nur einmal langsam zeigen, was sie vorhaben. Es ist beschämend, was sie machen bis jetzt.
Was beschämt? Freya Klier: Sie nehmen nicht wahr, dass sie auch eine Verantwortung haben in unserem Land und nicht nur dazu da sind, nach vorne zu rufen: Merkel muss weg! Oder zu klagen und zu jammern, sobald ihnen irgendwas nicht passt.
Es war im „Spiegel“ zu lesen, dass es einige frühere Bürgerrechtler zur AfD ziehe.Freya Klier: Das fand ich primitiv. Eine Unverschämtheit. Der Autor hatte vom Thema keine Ahnung. Er hatte fünf, sechs Personen gefunden von einer Bewegung, die etwa 1.000 zählt. Er hat sich diese traurigen Beispiele herausgepickt.
Freya Klier wurde 1950 in Dresden geboren, 1953 Kinderheim nach der Verhaftung ihres Vaters. Lehre als Maschinenbauzeichnerin nach dem Abitur. 1968 wegen „Republikflucht“ zu 16 Monaten Haft verurteilt. Nach vorzeitiger Entlassung Studium der Theaterwissenschaften, Schauspiel und Regie.
1973 Geburt der Tochter Nadja. 1980 Mitbegründerin der DDR-Friedensbewegung, 1982 Regiearbeit am Neuen Theater in Halle, 1984 Berufsverbot, 1988 Abschiebung in den Westen. Zuletzt veröffentlichte sie: „Wir letzten Kinder Ostpreußens“ und mit Nadja Klier „Die Oderberger Straße“.
Warum traurig? Die Genannten sind nicht AfD-Mitglieder. Freya Klier: Ich nenne es die Alte-Männer-Krankheit. Dieses mit dem Leben nicht klar kommen. Es sind Leute, die ich kenne und mit denen ich das Gespräch auch nicht abbreche. Das haben wir genug.
1988 war Ihr damaliger Mann Stephan Krawczyk… Freya Klier: Sie können ruhig Ihr Stephan sagen (lacht). Wir sind immer noch eng befreundet.
… gar nicht erst bis zur Luxemburg-Demonstration gekommen. Er wurde auf dem Weg dorthin verhaftet. Sie kurz darauf. Die Haftbefehle lagen seit Dezember 1987 vor. Was machte sie beide so gefährlich für die SED? Freya Klier: Uns war schon 1985 nahegelegt worden, die DDR zu verlassen. Ich sagte: Nee, jetzt nicht! Wir bleiben hier! Heute wissen wir: Die hatten den Druck aus Moskau durch Gorbatschow und versuchten, innenpolitisch ein Ventil zu öffnen.
Bei mir kam hinzu, dass ich die erste geheime Jugendbefragung in der DDR gemacht hatte für mein Buch „Lüg, Vaterland. Erziehung in der DDR.“ Ab 1987 wurde es dann richtig böse.
In der Haft wurden Sie und Stephan Krawczyk trickreich zur Ausreise genötigt. In der DDR-Opposition galten Sie sofort als Verräter. Freya Klier: Was man damals nicht wusste: Ein Drittel bis ein Viertel der sogenannten Bürgerrechtler waren Stasi-Leute. Die hatten den Auftrag, unseren Ruf richtig niederzumachen.
„Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“, rief einer. Das war sehr schmerzhaft. Das Ganze hielt so lange an, bis unser Haft-Anwalt Wolfgang Schnur als Stasi-Spitzel enttarnt war. Dann hörte das schlagartig auf.
Seit Jahren sind Sie in Sachen DDR in Schulen unterwegs.Freya Klier: Es wird immer mehr. Jetzt habe ich gerade zehn Schulprojekttage in Hessen.
Warum tun Sie das? Freya Klier: Ich bemerkte um die Jahrtausendwende, dass jetzt eine Generation heranwächst, die überhaupt nicht mehr weiß, was eine Diktatur ist. Und das in einer Welt, in der rund 70 Prozent der Staaten Diktaturen sind.
Melden Sie sich bei den Schulen? Freya Klier: Nein, die melden sich bei mir. Das sind rund 50 Projekttage im Jahr. Mehr kann ich auch nicht.
Sind Sie mehr im Westen? Freya Klier: Eindeutig.
Weil der Westen größer ist? Freya Klier: Nein, weil dort das Interesse stärker ist.
Woher rührt das Desinteresse im Osten? Freya Klier: Das Thema ist vielen Lehrern zu heiß. Ich bedaure das sehr.
Anfang der 1990er Jahre lief das noch im Osten. Freya Klier: Viel, ganz viel. Auch noch in den Nuller Jahren war viel los. Jetzt, da es angesichts der Rechtsausleger wichtig wäre, mit jungen Leuten zu reden, lässt die Beschäftigung nach.
Es gab jetzt den Vorschlag aus der Kultusministerkonferenz, einen Ost-West-Schüleraustausch zu etablieren. Freya Klier: Nein, das ist doch der Vorschlag von Herrn Holter! Also was soll das denn? Da haben wir alle herzlich gelacht und hätten am liebsten gesagt, Herr Holter, das machen wir schon lange! Die Lehrer, ich kenne ja nur die im Westen, die lachen auch. Da weiß man doch gleich, wonach das riecht.
Wonach? Freya Klier: Nach der sogenannten Linkspartei, wo ja Herr Holter herkommt. Der will erzählen, wie schön es in der DDR war. Das ist eine Tarngeschichte. Ich fand es prima, wie die Kultusministerkonferenz darüber hinweg gegangen ist.
Kommt die DDR zu kurz im öffentlichen Gespräch? Freya Klier: Ja, absolut.
Welche Themen fehlen? Freya Klier: Alles außer Stasi. Das ist zu Tode geritten. Was zum Beispiel noch kaum berührt worden ist, ist das repressive DDR-Gesundheitswesen. Das ist als Thema nicht sexy. Aber, wenn man stecken bleibt in der Geschichte, verdruckst sie sich, dann bleibt auch der Mensch so. Ich habe als mein elftes Gebot: „Du sollst dich erinnern“. Ich halte das für einen Schlüsselvorgang.
Weil Erinnern befreit? Freya Klier: Ja. Das Verdruckste bleibt stecken, auch in der nächsten Generation. Hört das nicht auf, wird es nicht besser.
Welche Fehler wurden bei der Vereinigung gemacht? Freya Klier: Viele. Um nur einen zu nennen: Das Beiseiteschaffen von DDR-Volksvermögen ist massiv von Teilen der Stasi bewerkstelligt worden - und zwar flächendeckend. Die haben Gelder nach Moskau transferiert, teilweise in Handkoffern.
Liest man die Berichte der Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, stellt man fest, dass sich nicht nur der Westen darüber hergemacht hat, sondern auch der Osten, die Genossen nämlich. Jeder, der irgendwo Direktor eines Busbahnhofes war, besaß ihn plötzlich privat.
Braucht es einen Ost-Beauftragten der Regierung? Freya Klier: Ich weiß nicht, ob das was bringt. Jede Partei hat ihre eigene Sicht. Es bräuchte also mehrere Ostbeauftragte. Worunter der Osten leidet, ist der Verlust an kritischer Intelligenz. Der war extrem in den 1950er Jahren.
Wen ich im Westen schon alles getroffen habe, der eigentlich aus dem Osten ist! Schuldirektoren, Nobelpreisträger, die fehlen ja. Diese Tendenz hat sich mit der Wende fortgesetzt. In einer Schule in Wiesbaden stammt die Hälfte der Lehrer aus dem Osten. Aber die gehen nicht zurück, weil ihnen das Klima nicht behagt, das inzwischen dort herrscht.
Wie lange wird das dauern, bis sich das wieder einspielt? Freya Klier: Ich weiß es nicht. Auch nicht, ob sich das überhaupt wieder einspielt. Gerade deshalb wäre es wichtig, mit Schülern im Osten über die Diktatur und ihre Folgen zu reden, damit sie eine kritische Sicht auf ihr Land kriegen.
Man redet heute bei DDR-Bürgern immer nur von denen, die im Osten sind, aber es gibt auch die vier Millionen, die fortgegangen sind. Die haben natürlich auch eine Meinung. Nicht nur die Genossen, die mit ihrem Lob nach vorne wollen. Die Weggegangenen muss man endlich einbeziehen. Das wäre eine Maßnahme. (mz)