Freie Kammerspiele Magdeburg Freie Kammerspiele Magdeburg: Kleine Fluchten vor blauen Horizonten
Magdeburg/MZ. - Dass Georg Büchners "Leonce und Lena" samtallem Überdruss durchaus als Prototypen einerim rasenden Stillstand gefangenen Jugend geltendürfen, weiß man hierzulande spätestens seitMichael Thalheimers Tour de Force am SchauspielLeipzig. Für das Kammerspiel-Spektakel "VerdammtesParadies" hat sich nun Lukas Langhoff derKönigskinder aus den Reichen Popo und Pipiangenommen, wobei er allerdings einen melancholischerentspannten Erzähl-Duktus wählt.
Hinter all der Hysterie nämlich, mit der sichseine überwiegend jungen Darsteller ins Zeuglegen, lauert bei ihm die plötzliche Erschlaffung.So endet auch der aufgeputschte Aufbruch zuverlässigauf dem Sofa, wo die Reviere abgesteckt werdenund die Fernbedienung den Kontakt zur Außenweltgarantiert. Natur findet hier - in Form vonFototapeten oder röhrenden Hirschen - nurals Simulation statt, Büchners finale Visionvon der ausgesperrten Zeit ist von Anfangan verwirklicht. Überhaupt kokettiert dasmutwillige Spiel mit dem Zirkelschluss, indemes ein gealtertes Paar als mögliche Perspektiveeinführt. Doch bis Leonce und seine Lena diesenGrad der Desillusionierung erreicht haben,werden sie noch viele bunte Pillen gegen ihrelatente Traurigkeit schlucken müssen.
Langhoff inszeniert die Bagatelle souverän,ohne sich dabei an anachronistische Personenund Seitenhiebe zu klammern. Aber ist es dennnicht folgerichtig, wenn sich ein narzisstischerPrinz heute als Club-Entertainer produziert?Ist der Moderator im Lokalfernsehen nichttatsächlich ein geglückter Klon-Versuch ausservilem Präsidenten und dümmlichem Zeremonienmeister?Und ist die modische Koketterie mit dem Selbstmordwirklich so viel mehr als eine extreme Varianteder Fun-Sportarten?
Mit dieser oberflächlich bunten, aber zugleichabgründig traurigen Lesart unterläuft derRegisseur, der seine Prägung durch Frank CastorfsVolksbühne nicht verleugnen kann, alle Erwartungshaltungen.Dass der Dichter bei ihm im Kühlschrank wohnt,ist letztlich ebenso komisch konsequent wiedas Bildschirm-Zitat eines elegischen Brandauer-Büchners.Hier nämlich wird - auf der Suche nach einenSehnsuchts-Ort, der sich letztlich auch nurals eine schäbige Spielhölle an der Stadt-Autobahnentpuppt - ein Ton getroffen, der authentischerwirkt als der sklavische Umgang mit einemText.
Den gegenteiligen Befund provoziert am nächstenAbend Stephen Greenhorns Stück "Surfing Scotland",das ebenso wie die Uraufführung von ThiloRefferts Monolog "Hellas Sonntag" zum Spektakel-Programmgehört. Anders als bei der klassischen Fahrtins Blaue hat dieses Road Movie ein Ziel,aber verliert sich bereits auf dem Weg dorthin.Denn zumindest in Bettina Jahnkes Inszenierungfehlt der Geschichte die Genauigkeit im Tonund in der sozialen Beobachtung, die das Genrezwingend fordert. Die Geschichte der beidenJugendlichen, die ein Surfbrett als Ersatzfür entgangene Entlohnung rauben und sichdamit auf die Reise zu potenziellen Käufernmachen, bleibt ein fader Trip auf schieferEbene.
Da wirkt es fast schon zynisch, dass die Szenehäufig von einem Blue-Screen-Horizont begrenztwird. Denn wo man im üblichen Verfahren nachträglichden blauen Hintergrund ausstanzen und durchandere Farbaufnahmen ergänzen kann, bleibtdie Fläche - mangels Angeboten an die Phantasiedes Zuschauers - monochrom. Nicht anders istdie akustische Grundierung zu bewerten, dieden Plot in eine austauschbare und damit beliebigeTechno-Internationale einreiht. "Surfing Scotland"erscheint so nur als weiterer fader Versuch,jugendliche Attitüde auf dem Theater zu kopieren."Surfing Büchner" ist da doch von anderemKaliber.