1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Frédéric Chopin: Frédéric Chopin: Genie ohne Glück

Frédéric Chopin Frédéric Chopin: Genie ohne Glück

Von Esteban Engel 18.02.2010, 06:03
Schnee liegt auf dem Chopin Monument im winterlichen Warschauer Lazienki Park (FOTO: DPA)
Schnee liegt auf dem Chopin Monument im winterlichen Warschauer Lazienki Park (FOTO: DPA) epa pap

Berlin/dpa. - Von seinen Anfängen als Wunderkind in Warschau bis zu seinemquälenden Tod in Paris - Chopin gilt als Inbegriff des genialen, vonExistenzkrisen und labiler Gesundheit gezeichneten Künstlers, einlebenslang Getriebener, der 200 Jahre nach seiner Geburt - vermutlicham 1. März 1810, der Standesbeamte datierte sie allerdings auf den22. Februar - als großer Komponist und tragischer Star in Erinnerunggeblieben ist.

Ob in den legendären Aufnahmen von Vladimir Horowitz, Dinu Lipatiund Martha Argerich oder in der neuen CD der 21-jährigen MünchnerinAlice Sara Ott - mit den Mazurkas und Walzern, Polonaisen undImpromptus hat Chopin in jeder Generation seine Interpreten gefunden.Zwischen Schwärmerei und Perfektion hat er Seelenzustände alsabsolute Musik gestaltet, wie sie auch Robert Schumann für diedeutsche Romantik schuf.

Chopins Musik war aber auch hochpolitisch -so verstanden sie vorallem seine polnischen Landsleute. Die heimatlichen Anklänge, dieverfremdeten Harmonien und Melodien aus den Bauerntänzen sprechen denPolen, die Jahrhunderte um einen eigenen Staat kämpften, aus derSeele. Lebenslang litt Chopin darunter, dass er wie ein Zaungast aufsein Land blickte, während seine Zeitgenossen für dieUnabhängigkeit ihr Leben ließen.

Als 1832 auf den Straßen von Warschau der Traum eines unabhängigenPolen von den russischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde,machte sich Chopin gerade auf den Weg von Wien nach Paris. «EinLeichnam hat aufgehört zu Leben, und auch ich bin des Lebens satt»,schrieb der 21-Jährige verzweifelt über die Nachrichten aus derHeimat.

Ein schwankendes Wunderkind

Es waren behütete Verhältnisse, in die Frydrych FranciszekChopin in Zelazowa Wola nahe Warschau hineingeboren wurde.Vater Nicolas Chopin, ein aus den Vogesen stammender Winzersohn,hatte als Gymnasiallehrer seiner Frau und den vier Kindern einauskömmliches Dasein gesichert. Die Familie stellte sich ganz auf dieFörderung des Wunderkinds ein. Jahrelang würde der Vater den zwischenFernweh und Unentschlossenheit schwankenden Sohn unterstützen. Sodrängte er Friedrich, nach Schule und Konservatorium in Wien seinGlück zu suchen.

Doch die k.u.k-Metropole erwies sich als Sackgasse für denjungen Pianisten. Zwar erntete Chopin mit seinen frühen Werken, vorallem seinen Klavierkonzerten, eine gewisse Bewunderung. Doch dasWiener Publikum zeigte sich unzugänglich. «All die Diners, Abende,Konzerte, Bälle, die mir zum Halse heraushängen, langweilen mich.»Chopin verfluchte den Augenblick seiner Abreise aus Warschau. Nochdazu wurde er von Schwindsucht und Husten heimgesucht, ein Vorboteder späteren Tuberkulose. Auch die unglückliche Fernbeziehung zuKonstancja Gladkowska, einer Freundin aus Kindertagen, setzte ihm zu.

Paris, Europas damalige Musikhauptstadt, sollte sich gnädigererweisen. Schnell fand Chopin Zugang zu den Salons. Die Herrschaftdes Bürgerkönigs Louis Philippe hatte der Pariser Bourgeoisieneue Freiräume eröffnet. Bei einem Empfang des Bankiers Jacob deRothschild setzt sich Chopin ans Klavier - und erntet sofort denApplaus der Aristokraten. Sein Stellung als Klavierlehrer für diegehobenen Stände ist gesichert.

Als Konzertpianist fühlt sich der scheue Chopin unwohl in seinerHaut. Immer wieder befällt ihn ein pathologisches Lampenfieber. Inseinem Leben trat er nur etwa 50 Mal öffentlich auf. «Das Publikumschüchtert mich ein, sein Atem ersticktmich.» Anders als seinKollege und Freund Franz Liszt (1811-1886), der unter demhysterischen Beifall seiner Zuhörer zum ersten modernen Musikidolaufstieg, wird Chopin unter Ausschluss der Öffentlichkeit berühmt.

Ein Liebespaar auf Mallorca

Es ist vor allem ein Treffen im November 1836, das Chopin über dieMusik hinaus berühmt macht. In einem Salon trifft er Madame Dudevat.Die selbstbewusste Frau, der immer wieder amouröse Eskapadennachgesagt werden, ist als Schriftstellerin unter dem Namen GeorgeSand bekannt - und sie verliebt sich auf den ersten Blick in denschmächtigen Polen. Der ziert sich zunächst, erst nach LisztsIntervention willigt Chopin einer zweiten Begegnung ein. Es ist derBeginn einer zehnjährigen Künstlerliebe, die seitdem immerwieder in Büchern und Filmen nacherzählt wurde.

Die Millionen-Erbin zieht mit Chopin auf ihren Landsitz,der Komponist nimmt sich Sands Kinder Maurice und Solange an. Dochdie Beziehung zwischen der unternehmungslustigen Schriftstellerin unddem mimosenhaften Chopin kann kaum gegensätzlicher sein. ZumVerhängnis wird dem Paar ein Kuraufenthalt auf Mallorca. Sands Sohnleidet an Rheuma und auch Chopin erhofft sich vom InselklimaLinderung für seine Atemnot.

Der Balearen-Trip erweist sich als Katastrophe. Chopins Zustandverschlimmert sich, die Familie wird aus dem Ferienhausrausgeschmissen und muss in einem Kloster im Bergdorf ValldemossaZuflucht suchen. Seitdem ist die Kartause eines der beliebtestenAusflugsziele auf der Urlaubsinsel. Nach einigen Monaten ziehen Sandund Chopin nach Frankreich zurück.

Chopin hat wieder Zeit zum Komponieren, es werden produktiveJahre. Für Sand wird das Leben mit dem depressiven Künstler zusehendszur Belastung. In ihrem Roman «Lucrezia Floriani» offenbart siegnadenlos und für die Pariser Klatschgesellschaft kaum verschlüsseltdie Schwächen und Marotten des Geliebten. Chopin reagiert wie gelähmtauf die öffentliche Bloßstellung. Als er sich in einem Streitzwischen Solange und ihrer Mutter auf die Seite der Tochter schlägt,ist die Beziehung zu Sand vollends zerrüttet.

In Paris muss Chopin sich wieder als Musiklehrer durchschlagen,sein Körper verfällt, er hustet Blut, kriegt kaum Luft. Ein Versuch,in London Fuß zu fassen, endet im Finanzdesaster. Chopin kehrt nachParis zurück - als ob er sein baldiges Ende ahnt. Das einzige FotoChopins zeigt den Komponisten als Todgeweihten. An seinemSterbebett zieht die Schickeria vorbei, die Damen fallen rituell inOhnmacht und lassen sich von einem Zeichner vor dem Sterbendenverewigen.

Noch bis zuletzt hofft Chopin, dass die europäischen Revolutionenauf seine Heimat übergreifen - vergebens.Am 17. Oktober 1849 stirbter mit 39 Jahren. Er wird auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaisebestattet. Chopins Herz aber kehrt nach Polen zurück und ruht seitdemin einer Säule der Warschauer Heiligkreuz-Kirche.