Frankreich Frankreich: Aufstand gegen Minister Aillagon

Paris/dpa. - An Vorschusslorbeeren mangelte es Jean-Jacques Aillagon nicht, als er 2002 Frankreichs Kulturminister wurde: Als Direktor der Pariser Videothek, Leiter für kulturelle Angelegenheiten der Stadt Paris und schließlich Präsident des Pariser Centre Pompidou hatte der heute 57-Jährige einen guten Ruf unter Frankreichs Kulturschaffenden erworben. Doch seit wenigen Wochen steht der Gaullist im Kreuzfeuer der Kritik.
Der anhaltende Konflikt um die Reform der Arbeitslosenversicherung für künstlerische Mitarbeiter mit Zeitverträgen, der im vergangenen Jahr zum Ausfall der Sommerfestivals in Avignon und Aix führte, bedroht erneut die großen Kulturveranstaltungen. Und seine «ruhige Revolution» der Museen betrachten kritische Geister als schleichende Privatisierung der Kunst. Die Schauspielerin Agnès Jaoui warf ihm sogar vor, die kulturelle Identität des Landes zu gefährden.
«Kultureller Bauernaufstand gegen Aillagon» titelte denn auch die linksliberale Tageszeitung «Libération» am Wochenende und schrieb: «Das Schutzgefühl, das diese sehr französische Institution (Kulturministerium) den Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen angesichts der Bürokratie und der Privatisierung der Kultur bot, ist dabei zu verschwinden.»
Aillagons Ansehen sinkt von Tag zu Tag. Er wird ausgepfiffen und beschimpft, gleich bei welcher Veranstaltung er auch auftritt. Sogar in Lille, wo der ehemalige Professor für Geschichte und Geographie am 6. Dezember das Programm «Lille Kulturhauptstadt 2004» eröffnete, wurde sein Auftritt durch Buhrufe unterbrochen. Und bei der Verleihung der französischen «César»-Filmpreise in Paris am 21. Februar ergriffen Schauspieler in Anwesenheit Aillagons das Wort, um die Reform der Arbeitslosenversicherung der künstlerischen Mitarbeiter mit Zeitverträgen zu kritisieren. Betroffen sind Regisseure, Bühnenbildner, Techniker und Schauspieler.
Ein Ende dieser Proteste, denen neben möglicherweise im Mai sogar das Filmfestival in Cannes zum Opfer fallen könnten, ist vorläufig nicht in Sicht. Denn Aillagon zeigt sich unnachgiebig und praktiziert die Politik des Aussitzens, «Libération» wirft ihm sogar Handlungsunfähigkeit vor.
In Schweigen hüllte sich der Gaullist, als die Mitarbeiter des Pariser Jeu de Paume, der Staatsgalerie für zeitgenössische Kunst, zusammen mit zahlreichen anderen Museumskollegen gegen die Schließung protestierten. In Zukunft soll das Palais im Pariser Tuileriengarten, in dem früher die Impressionisten hingen, nur noch für Foto- und Videoausstellungen dienen. Angst vor Schließungen historischer Gebäude haben auch viele Regionen. Denn im Zuge der Dezentralisierung wird künftig die Hälfte der 260 historischen Einrichtungen, die bisher vom Kulturministerium verwaltet wurden, in die Verantwortung lokaler oder regionaler Gebietskörperschaften übergeben - eine finanzielle Belastung, der viele nicht gewachsen sind.
Doch nicht Aillagon allein muss mit dem Vorwurf «kulturfeindlich» leben. Die Regierung Raffarin hat mit Kürzungen im Forschungs- und Wissenschaftsbereich den Zorn der geistigen Elite Frankreichs auf sich gezogen. Im Kulturblatt «Inrockuptibles» riefen Intellektuelle und Wissenschaftler zum Widerstand auf und veröffentlichten einen Appell «Gegen den Krieg gegen die Intelligenz». Mehr als 15 000 Unterzeichner unterstützen bereits den Protest.
Dieser Aufruf gegen die soziale Verarmung aller nicht als produktiv geltenden Bereiche wurde von mehr als 15 000 Personen unterschrieben, darunter Patrice Chéreau, Jacques Derrida, Jack Lang, Daniel Cohn-Bendit und Bertrand Tavernier. Die Besorgnis der französischen Intellektuellen, Wissenschaftler und Künstler scheint berechtigt, denn Raffarin ließ öffentlich wissen, dass ihn Kultur und Kunst nicht allzu sehr interessieren und Frankreichs Kulturminister sprach erst kürzlich davon, dass nun endgültig ein Kapitel der Kulturgeschichte des zeitgenössischen Frankreichs abgeschlossen sei.