Filme auf der Berlinale Filme auf der Berlinale : Künstlich und allein in Berlin großes Kino beim Tod in Sarajevo

Auch diese Berlinale hat ihren Berlin-Film. Allerdings stimmt er nicht so froh wie „Victoria“ im Vorjahr, spielt auch nicht wie jener in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit, genauer gesagt in den Jahren 1940 bis 1943. Dunkel wird diese Vergangenheit gemeinhin genannt. Die Handlung beginnt mit den Nachrichten von der Kapitulation Frankreichs; das Nazi-Regime feiert Erfolge, Hakenkreuz-Fahnen wehen, Gefolgsleute feiern. Ein Ehepaar, das in diesem Siegestaumel die Nachricht erhält, dass sein Sohn an der Front gefallen ist, entschließt sich zu einem stillen Widerstand: Postkarten sollen, über die Stadt verteilt, den Volksgenossen die Augen öffnen über Hitler und seinen Krieg.
Der Wettbewerbsbeitrag von Vincent Perez „Alone in Berlin“ ist auf verschiedene Weise in der Realität verankert: Er spielt in einer viel erforschten Zeitspanne. Der Handlung liegt eine wahre Geschichte zugrunde, die des Ehepaars Otto und Elise Hampel, das im Oktober 1942 gefasst und im Januar 1943 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt wurde. Sie folgt der künstlerischen Bearbeitung dieser Geschichte: Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“, in dem die Eheleute Quangel heißen. Diese Vielzahl an Voraussetzungen bedeuteten zweifellos ein Wagnis für den Regisseur.
Daniel Brühl als Gestapo-Kommissar
Perez hatte als Schauspieler angefangen, war zum Beispiel „Fanfan, der Husar“, bevor er sich selbst der Regie zuwandte, und die Schauspielerführung gelingt ihm in einigen Szenen auch sehr gut. Vor allem Brendan Gleeson als Otto Quangel wirkt wie aus dem Buch in die Wirklichkeit getreten. Er trägt die Charakterisierung durch Fallada in seinem Gesicht, auf seinen Schultern, in seinem Gang: der vogelartige Blick, die schwerfälligen, doch entschlossenen Bewegungen, das gelebte Leben in den Knochen. Emma Thompson als seine Frau hat die undankbarere Rolle abbekommen, zeigt oft glaubhaft das Leid der verwaisten Mutter, demonstriert ungelenk die wiedererwachte Liebe zu ihrem Mann. Daniel Brühl als Gestapo-Kommissar sieht man die Berufsehre des Kriminalisten an, der Beweise sucht und kombiniert, dem die Methoden der SS zu grob sind.
Doch dafür sind dann auch dem Regisseur die SS-Leute sehr grob geraten, so wie viele Szenen, die das Zeitkolorit spiegeln sollen. Kostüme und Szenenbild, auch Gestik und Dialoge wirken bloß wie nachgemacht. In seinem Vorspruch zum Roman schrieb Fallada, dass er sich zwar an die Fakten gehalten habe, aber er auch frei gestalten musste. Er glaube jedoch an die „innere Wahrheit“ des Erzählten. Da liegt das Problem des Films. Natürlich ist es schwer, das Berlin der 1940er-Jahre authentisch darzustellen, aber das ist die Herausforderung einer solchen historischen Verfilmung. Vincent Perez und seinem Team gelingt es zu selten, dass man Kulissen und Maske vergisst und als Zuschauer in die Wahrheit des Films taucht.
Da war bei „Smrt u Sarajevo – Death in Sarajevo“ ein ganz anderer Meister am Werk. Boris Tanovic ist vor drei Jahren bei der Berlinale für „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ mit dem Großen Preis der Jury und sein Hauptdarsteller mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet worden. Für „No Man’s Land“ hatte er den Auslands-Oscar erhalten. Sein neuer Film geht von einem Theaterstück des französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy aus: „Hotel Europa“, das an eben jenem Ort in Sarajevo spielt. Für den Film wurde der Handlungsradius unwesentlich erweitert: Auch hier vollzieht sich alles in dem einem Hotel in wenigen Stunden am 28. Juni 2014.
Im Hotel sammeln sich die Angestellten zum Streik, der Hoteldirektor hat zwei Monate keinen Lohn gezahlt. Seine linke Hand, die Empfangschefin, gerät zwischen die Fronten. In der Präsidentensuite probt ein berühmter französischer Schauspieler (Jacques Weber als er selbst) seine Europas Wachsamkeit und die Erinnerung an Srebrenica beschwörende Rede. Dabei wird er videoüberwacht. Eigentlich sollte er nur geschützt werden. Es gibt im Hotel die Unterwelt im Kleinformat, mit einem Spielsalon, in dem ganz spezielle Freunde des Direktors zocken. Kinder und Jugendliche üben die Europahymne, es klingt wie Kirchengesang. Ein Wachmann hat Stress mit seiner Freundin, die unbedingt ein Sofa kaufen will. Und ein junger Koch stellt der Empfangschefin nach.
Bilder, die leben
Auf der Dachterrasse führt ein Fernsehteam Interviews zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges, es geht um Formen des Gedenkens, um die heutige Gesellschaft in Bosnien-Herzegowina. Da taucht auch Gavrilo Princip auf, so hieß doch der Attentäter auf den k.u.k.-Thronfolger, durch dessen Schüsse der Weltkrieg ausgelöst wurde! Der Name werde in seiner Familie über Generationen weitergegeben, sagt er. Und siehe da: Auch dieser Gavrilo Princip verfügt über eine Waffe.
Alles geschieht gleichzeitig, wir sehen die Gleichzeitigkeit von Stress: Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit Europas Rolle in der Gegenwart, Wirtschaftsprobleme gibt es und auch die Liebe. Man hat nicht den Eindruck, danach mehr vom Kriegsausbruch zu verstehen, schon gar nicht die Gemengelage der nationalen und politischen Konflikte rund um Sarajevo. Gerade hier im Hotel Europa nun Europa zu beschwören, ist die blanke Satire. Der Mord, der dann in diesem Hotel geschieht, ist ganz unspektakulär. Der Regisseur beweist: Er kann auch ein Kammerspiel, in dem viel geredet wird, zu einem großen Kinoabenteuer machen. Seine Bilder leben. Es entfaltet sich die Wahrheit des Erzählten.
Alone in Berlin 16. 2., 10 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; 12 Uhr und 18 Uhr, Friedrichstadt-Palast; 18. 2., 18.30 Uhr, Babylon (Kreuzberg).
Death in Sarajevo 16. 2., 9.30 Uhr, Friedrichstadt-Palast; 16. 2., 12.30 Uhr, 18. 2., 22 Uhr und 21. 2., 20 Uhr Haus der Berliner Festspiele.
