Experten sagen Nein Experten sagen Nein: Warum der Naumburger Dom trotzdem auf den Welterbe-Titel hofft

Naumburg - Zum dritten Mal nimmt Naumburg Anlauf zu den Unesco-Weihen des Weltkulturerbes. In Bahrain tagt das zuständige Komitee bis zum 4. Juli.
Voraussichtlich am 30. Juni oder 1. Juli wird mit dem Tagesordnungspunkt „Naumburger Dom“ gerechnet, dem deutschen Antrag zur Neu-Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes, neben den Wikingerstätten Haithabu und Danewerk in Schleswig-Holstein.
Zweimal schon, 2015 in Bonn und 2017 in Krakau, scheiterte der Antrag an Einwänden der vorgeschalteten Prüf- und Bewertungsinstanz „Icomos“ (International Council on Monuments and Sites), die der Unesco als Berater-Organisation dient.
Die Fachleute versagten ihre Zustimmung, als der Antrag noch um die „Herrschafts- (dann umbenannt in Kultur-)Landschaft an Saale und Unstrut“ erweitert war.
Ob die Naumburger Delegation diesmal nun Grund für Zuversicht hat, ist jedoch fraglich, denn Icomos lehnt auch den neuen Antrag ab.
Warum scheuen die Naumburger den Auftritt vor der Vollversammlung trotzdem nicht? Der Grund dafür ist in dem Icomos-Gutachten selbst zu finden. Da heißt es nämlich, dass das Gremium im Grunde keine Bewertung abgeben kann, weil das Welterbekomitee seinerzeit in Krakau Verwirrung stiftete: Dort wurde die Nominierung zurückverwiesen, um sie auf den Dom zu fokussieren, „dem außergewöhnlicher universeller Wert“ zukomme.
Verwirrung über Formulierung des Welterbe-Kommitees
Das ist die Formulierung, mit der die Stätten ins Welterbe aufgenommen werden, wenn sie einen oder mehrere Punkte der Kriterienliste erfüllen. Naumburg wurde im Glauben belassen, die Welterbe-Zuerkennung sei sicher und brauche nur die Neuformulierung des Antrags.
Eben das will die Leiterin der deutschen Delegation, Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), nun zur offiziellen Linie machen.
Böhmer sagte, die Erklärung zum universellen Wert sei
„das entscheidende Kriterium“. Naumburg werde damit „die Tür geöffnet“. Demgegenüber beharrt Icomos auf Regularien, wonach die Anerkennung nicht bei einer Rückverweisung ausgesprochen werden kann, sondern nur bei der formellen Aufnahme ins Welterbe.
Hat das Welterbe-Kommitee die Ernennung Naumburgs schon vorweg genommen?
Das Komitee habe die Ernennung vorweggenommen, dafür aber keine Kriterien benannt. Trotz dieser Unklarheit habe Icomos seine Arbeit getan, allerdings mit dem für das Komitee „unbequemen“ Schluss, der Naumburger Dom erfülle „keine der Welterbe-Kriterien“.
Nicht ohne Erstaunen liest man im Gutachten, wie Icomos zu diesem harschen Urteil kommt. Demnach steht insbesondere das Kriterium Nr. 1 in Frage („Das angemeldete Gut stellt ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft dar“). Der Antrag beziehe sich weniger auf die Architektur als auf die skulpturale Ausstattung des Doms, also die Stifterfiguren (Uta, Reglindis und zehn andere) sowie die Bildwerke des Lettners - allesamt von der Hand des „Naumburger Meisters“ und berühmt für ihren Naturalismus und ihre Ausdruckskraft.
Icomos-Gutachten sieht Naumburger Dom nicht als welterbe-würdig
Icomos hat zum einen grundsätzliche Bedenken gegen die Aufnahme von Werken der bildenden Kunst in die Welterbeliste. Man fürchtet die potenziell uferlose Ausdehnung. Ginge es um die Architektur allein, wäre in der Tat zu fragen, was der Naumburger Dom über seine außergewöhnliche Ausstattung hinaus in der Geschichte der Gotik darstellt: Er war einer der Versuche in deutschen Landen, auf die visionär-neuartige Architektursprache aus der Ile de France zu reagieren, mit interessantem Ergebnis, aber ohne ebenso weit reichende Wirkung.
Jedenfalls ist Icomos der Meinung, dass der Verweis auf den Naumburger Meister und die bildliche Ikonografie des Bauwerks einer ausführlicheren Vergleichsanalyse mit anderen bedeutenden Bauten der Epoche bedürfe. Aber auch die Kriterien 2 und 4 seien auf den Dom nicht anwendbar.
Vorwurf: Icomos beachtet aktuelle Forschung nicht
Für einen „bedeutenden Schnittpunkt menschlicher Werte“ oder für einen „bedeutsamen Abschnitt der Menschheitsgeschichte“ reiche das Werk des Naumburger Meisters nicht aus, zumal Kunsthistoriker noch keine Übereinkunft über Zuschreibungen seines Werks und die Einflüsse darauf erreicht hätten. Mehr noch, es könne der europaweite Kulturaustausch nicht belegt werden, der für diese Kriterien ausschlaggebend wäre.
An diesem Punkt fällt es schwer zu glauben, die Autoren verfügten über den Kenntnisstand der Ausstellung „Naumburger Meister“ von 2011 und den zweibändigen Katalog. Das war geballte Forschung, die unter anderem die Breite und Komplexität des Kulturtransports aus den Bildwerken von Reims deutlich machte.
Naumburger Skulpturenkunst strahlte bis nach Spanien
Unter dem Einfluss sächsischer Bildwerke kam es in Naumburg zu der einzigartigen Verwandlung durch den namenlosen Meister und seine Werkstatt, die nicht nur nach Meißen, sondern auch bis nach Burgos in Spanien ausstrahlte.
Auch die Qualität dieser Plastiken, die zu zahlreichen Deutungen Anlass gibt, von der höfischen Etikette der Zeit bis hin zur inneren Verfasstheit des Individuums im Mittelalter, all das hat zumindest Anrecht darauf, als eine Facette des europäischen Geistes im Mittelalter angesehen zu werden, mit einer bis heute nachwirkenden Faszination. Sie entfaltet ihre Wirkung, wie bei französischen Figurenzyklen auch, erst im baulichen Zusammenhang.
Frau Böhmer hat richtig erkannt, „für Naumburg muss gekämpft werden.“ Ob mit Erfolg vor Hunderten überlasteter Delegierter im Plenum in Bahrain, das wird man sehen. (mz)
