Experimenta Frankfurt Experimenta Frankfurt: Die bösen Kinder bitten zum Festival
Frankfurt/Main/MZ. - Die Auswahl derJury für das Berliner Theatertreffen, dasam 1. Mai eröffnet wird, hat in diesem Jahrbesonderen Unmut bei jungen Regisseuren erregt:Statt ihrer Innovationen sahen Stars wie StefanBachmann, Thomas Ostermeier, Lars-Ole Walburgoder das Regieteam Tom Kühnel und Robert Schustereine Weihe-Feier der Altvorderen wie Peymann,Bondy oder Zadek ins Werk gesetzt. Was lagalso näher, als ein eigenes Alternativ-Treffenzu veranstalten: Parallel zur Berliner Leistungsschauwird im Mai am Frankfurter TAT die traditionsreiche"Experimenta" wiederbelebt.
Was sich die Künstler aus Basel, Berlin, Hannover,Hamburg oder Zürich gegenseitig präsentieren,zeigt beispielhaft der "Ring" des Mit-GastgebersTom Kühnel: Die Klospülungen gurgeln hierden Tagesbeginn im noch morgenmatten Mietshausherbei. Auch das kann ein "Rheingold"-Vorspielsein. Wie in eine Puppenstube schauen dieZuschauer dabei auf einen Wotan, der sichnoch im Bett wärmt, während Fafner als riesigeHausmeisterin im altrosa Unterrock dem Morgenentgegendämmert.
Wagners "Ring des Nibelungen" ganz ohne Musik?Gewiss, die mit der erheblichen Hilfe derPuppenspielerin und -bauerin Suse Wächtererarbeitete Lesart beschränkt sich auf dieTextdichtung. Wem es schon am Anfang an Wagnersgrandiosen Motiven fehlt, der wird es fortanschwer haben. Wenn aber plötzlich die Rheintöchterauf dem Badewannenrand ihr kindliches "Weia!Waga! Woge, du Welle" abzählen, darf man sichnicht fragen, was hier fehlt, sondern musserkennen, wodurch diese Lesart gewinnt. Unddas ist nicht nur augen-, sondern auch ohrenfällig.
Besonders diejenigen, die dem "Ring" zum erstenMal begegnen, können an Kühnels Hand den Texterkunden. Sie spüren dem gewollten Ernst derStabreime nach und kollidieren mit dessenGrenzen zur unfreiwilligen Komik. Das gehtnicht ohne Blessuren ab. Auf diese Weise aberwird das Weltgedicht mit seiner heroischenOberfläche und seinem tragischen Grundtongeradezu spürbar.
Mime, Alberich und die Rheintöchter sind Puppenin der Größe von Sechsjährigen. Hier wirktdas Kindchen-Schema. Man möchte sie mögen.Was einen davon abhält, ist ihre kindlicheBosheit. Nachdem Siegfried den Waldvogel getroffenund die Fähigkeit errungen hat, die Naturzu verstehen, versteht er auch Mimes heimlichesDenken. Der spricht ihm Liebe und denkt Mord.Und immer dann wird aus dem harmlosen Kindleinein verschlagener, bösartiger Gnom. Das kannkein Sänger leisten. Am Anfang der "Walküre"übrigens spürt man, welchen Beitrag WagnersMusik leistet. Das Aufeinandertreffen vonSiegmund und Sieglinde ist das Stammeln zweierHilfloser, das in der Oper aufgefangen wird.In Frankfurt bleibt es Stammeln.
Wie der ganze "Ring" hier eine besondere Näheerzeugt, sollte sogar den (Vor-)Gebildetenunter den Verächtern einer reinen Textlichkeitauffallen. Mit den herzlich Lachenden im Parkettaber hat der Regisseur dem Opernzyklus eineneue Klientel erschlossen.