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Evelyn Richter  Evelyn Richter : Den Menschen im Blick

Von Andreas Montag 31.01.2020, 07:04
Evelyn Richter: Leipzig 1989, 1989, Silbergelatineabzug, Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Evelyn Richter: Leipzig 1989, 1989, Silbergelatineabzug, Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Andreas Diesend/Evelyn Richter Archiv der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Museum der bildenden Künste Leipzig

Dresden - Wir reden über Sternstunden: Es gibt Fotografien, die in einem, dem entscheidenden Augenblick das Besondere eines oder mehrerer Menschen und der Zeit, in der das Bild entstanden ist, für immer festhalten. Dieses Bild zum Beispiel, das zwei junge Frauen bei einer Leipziger Montagsdemonstration im Herbst 1989 zeigt: So viel Offenheit und Hoffnung, so viel Innigkeit und Sehnsucht nach Glück ist den Gesichtern eingeschrieben. Man hätte dieses Foto allen, die damals antraten, politische Weichen zu stellen, auf die Schreibtische legen sollen.

Eine magische Situation wie jene Szene aus Leipzig zu entdecken und zu bewahren, darin liegt die Kunst der Fotografie. Vorausgesetzt immer, dass die Kamera in den Händen einer Persönlichkeit liegt, die über Lebenserfahrung, Neugier, Unbestechlichkeit und Empathie verfügt. Man kann es auch Herzenswärme nennen. Dies alles trifft auf Evelyn Richter zu. An diesem Freitag wird die Nestorin der ostdeutschen Fotografie 90 Jahre alt.

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben der Künstlerin aus diesem Anlass eine Ausstellung im noblen Albertinum gewidmet, eine „Kleine Retrospektive“. Erinnert man sich zugleich der gerade zu Ende gegangenen Werkschau mit Fotos von Helga Paris, der anderen großen alten Dame der ostdeutschen Fotografie, die in der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin zu höchsten Ehren kam, scheint es so, als sei die realistische Fotokunst der DDR endlich aufgenommen worden in den Olymp.

Spät genug, aber immerhin. In Dresden gibt es auch einen Dokumentarfilm zu sehen, in dem Evelyn Richter, die heute in einem Pflegeheim lebt, über sich und ihre Arbeit spricht. Bescheiden, aber bestimmt, die Fotografin hat stets klare Ansagen gemacht. Auch das zeichnet sie aus. Geboren 1930 in Bautzen, erlernte Evelyn Richter den Beruf der Fotografin von der Pike auf. 1953 begann sie ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB), zwei Jahre später wurde sie aus politischen Gründen exmatrikuliert.

Seitdem, bis sie 1981 zunächst mit einem Lehrauftrag, ab 1991 als Professorin an die HGB zurückkehren durfte, hat sich Evelyn Richter freiberuflich als Theaterfotografin und mit Werbeaufträgen durchgeschlagen. Ihren genauen, unverstellten Blick auf die Menschen bewahrte sie, den konnten ihr die Funktionäre nicht verbieten. „Ich will im Porträt zeigen, wie der Mensch zu sich findet“, hat sie einmal gesagt.

Die Zahl der im Albertinum präsentierten Fotos ist übersichtlich, aber jedes einzelne von ihnen genügt, die Meisterschaft Evelyn Richters zu beglaubigen. Es sind Aufnahmen dabei, von deren Anblick man sich gar nicht lösen mag. Da ist neben dem Doppelporträt der jungen Frauen aus Leipzig eine Straßenszene von ebendort, die gewissermaßen die Vorgeschichte des 89er Herbstes erzählt: Vor einem tristen Straßenbild stehen 1976 zwei Kinder mit geschulterten Fahnen, es wird wohl der 1. Mai gewesen sein, der „Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse“.

Herausragend sind die Porträts von Namenlosen wie Prominenten, darunter eines der greisen Künstlerin Louise Bourgeois. Aufgenommen 2003 in New York, ist es gleichsam auch eine Art Selbstbildnis, eine vorausahnende Spiegelung der damals 73-jährigen Fotografin Evelyn Richter.

Focus Evelyn Richter, Albertinum Dresden, bis zum 3. Mai, tägl. außer Mo 10-18 Uhr, 3.-7.2 geschlossen