Es war einmal im Osten Es war einmal im Osten: Meisterschüler von Willi Sitte diskutieren über Kultur und Politik in der DDR

Halle (Saale) - So richtig beneiden mochte man Andreas Höll an diesem Donnerstagabend auch nicht. Der MDR-Journalist hatte die Aufgabe übernommen, in der halleschen Kunsthalle Talstraße vier der Meisterschüler Willi Sittes im Gespräch zu vereinen.
Aber der Moderator hat sich wacker geschlagen als „Dompteur“ der Künstlertemperamente, die sich nicht gern in einer Reihe aufstellen. Und schon gar nicht bei einem solch heiklen Thema: Wie war das in der DDR - und wie haben sie selbst dort gearbeitet und gelebt?
Bis zum 3. Juni 2018 in der Kunsthalle Talstraße in Halle:
Di-Fr 14-19,
Sa/So 14-18 Uhr.
Die Diskussion flankierte die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus, die Arbeiten des Lehrers Sitte mit Bildern von Henri Deparade, Frank Schult, Norbert Wagenbrett und Dieter Weidenbach konfrontiert. Die Meisterschüler haben sich denn auch nicht lange bitten lassen und ließen sich ein auf ein Nachdenken über den umstrittenen Willi Sitte, sich selbst und die verflossene Zeit im Osten.
So verschieden die Handschriften der Künstler, so differenziert sind ihre Haltungen. Wobei sie sich in einem Punkt, bei abweichenden Nuancen, doch einig waren: Sitte, der Großmeister des Sozialistischen Realismus, Kommunist und Funktionär, sei ein wichtiger Mann und Künstler - aber eben auch eine tragische Figur gewesen.
Lebhafter Streit
Ingrid Sitte, die Witwe des 2013 Verstorbenen, war auch gekommen und wird wohl weniger Neues über ihren Mann erfahren, als vielmehr einige Facetten seines Wirkens aus vierfach erster Hand bebildert gesehen haben. So wurde ein Porträt des Malers gefügt, der nach der Zeitenwende von vielen geschnitten wurde - und der viele mit seinem Starrsinn vor den Kopf gestoßen hat. Sitte war kein Kind von Traurigkeit, er machte sich cholerisch Luft. Aber man konnte auch herzhaft streiten mit ihm.
Dieter Weidenbach, geboren 1945 in Stendal, hat eine frühe Episode in Erinnerung: Als Oberschüler machte er sich ohne Einladung auf den Weg nach Halle zur „Burg“, um mit seiner Mappe vorstellig zu werden. Lust auf das Abitur hatte er nicht, vielmehr wollte er ungesäumt Maler werden.
Kaum beachtet stand er dann da, bis sich ein „kleiner, agiler Herr“ nach ihm erkundigte: „Mach das Abi, dann kommste wieder“, sagte Sitte zu Weidenbach. Später hat Sitte ihn in Weißenfels besucht, wohin Weidenbach nach seinem Kunststudium in Leipzig quasi ausgewiesen worden war. Wohl habe Sitte eine gewisse „Schräglage“ konstatiert, ihn aber geschützt und schließlich als Meisterschüler angenommen. Über eine Arbeit geriet der Alte dann allerdings in Rage. Es zeigte magere Mädchen, die Sitte wohl „als Provokation mit Blick auf seine dicken Frauen“ verstand. Ein anderes Bild Weidenbachs, das ihn selbst als Clown mit Funktionären darstellt, „hat Sitte ignoriert“.
Hier sehen die vier Maler die Tragik des Mannes, der seine kommunistische Überzeugung ins Bild bringen wollte - und zum „Erfüllungsgehilfen des Staates und seiner Propaganda“ (Deparade) wurde: „Hier kippt auch seine Malerei“. Aber er habe Verdienste darum, dass Künstler ernst genommen wurden. Was er nicht sagt: Das galt nur für jene, die nicht aus dem Raster gefallen waren.
Was aus der Malerei wurde
Als Zeichner habe er Sitte sehr geschätzt, sagt Frank Schult, der 1948 in Ilmenau zur Welt kam. Er hat wie Weidenbach und Henri Deparade (Jahrgang 1951, geboren in Halle) später den „Kindergarten DDR“ (Weidenbach) verlassen. Schult will nichts von Histörchen wissen, er „könnte auch tausend Geschichten erzählen“, sagt er unwirsch. Wichtiger sei es zu besprechen, was aus der Malerei geworden ist. Das wird an diesem Abend erst ganz am Ende gestreift: „Das Einzige, was ich habe, ist, dass ich malend Geschichten erzähle - so gut ich es kann. Und der Mensch steht im Mittelpunkt dabei.“
Hier ist ein Punkt, der die Handschrift des Lehrers verbindlich erscheinen lässt. Und ein Moment der Versöhnung ist es auch. Obwohl Deparade immer wieder auf die gesellschaftliche Situation der DDR zurückkommt - für ihn das zentrale Problem: „Ich hatte eine andere Haltung, ein anderes Weltbild als Willi Sitte“, sagt er.
War das eine Hommage?
Norbert Wagenbrett, 1954 in Leipzig geboren, hält seine rebellische Pose dagegen: „Ich war gar nicht so gegen die DDR“. Aber sein Übervater, ein Betriebsdirektor mit Weltkriegserfahrung, habe ihn auf seinen Kurs zwingen wollen und damit zur Opposition gereizt. Ähnlich ging es ihm dann mit Sitte. Auch Schult sieht das so. Wagenbrett hatte übrigens gar nicht nach Halle gewollt, „denn dort war nicht viel los“, sagt er. Das löst natürlich ein kleines Raunen im halleschen Saal aus. Und in den Westen ist er nicht gegangen, weil er „wusste, Idioten gibt es dort auch“.
Am Ende bleibt es offen: War das eine Hommage? Eine kritische Aneignung? Vielleicht der Anfang von etwas. In Leipzig, wo er lebt, würde ein solcher Abend jedenfalls undenkbar sein, sagt Wagenbrett. Das wäre dann ein Punkt für Halle. (mz)