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Erwin Wortelkamp Erwin Wortelkamp: Schnittstellen der Geschichte

Von Fred Reinke 25.07.2001, 15:31

Magdeburg/MZ. - Der 1938 in Hamm geborene Wortelkampwurde schon in den 60er und 70er Jahren durchStraßenaktionen, interaktive Objektkunst sowiedurch Reden und Texte bekannt. Alle dieseAktivitäten mündeten in einen ganzheitlichenKunstbegriff und in seiner Definition derSkulptur als Träger für Haltung und Befindlichkeit.

Wortelkamp, der sich auch als Kunstvermittlerund Demokrat versteht und in diesem Sinneauch öffentlich gewirkt hat, war nie ein Manndes Alleingangs. Stets hat er Verbündete gesucht,um mit ihnen eine Streitkultur zu entwickeln,einen Austausch, eine Kooperation und gemeinsameAktionen.

So inszenierte er in einer von ihm betriebenenInformationsgalerie in Beindersheim und Frankenthal/PfalzEnde der 60er Jahre kulturkritische Aktionen,u. a. mit Wolf Vostell, Timm Ulrichs und KlausStaeck. Dem folgten danach kinetische Objekteals so genannte Aktivierungs- und Behinderungsgegenständein Straßenräumen.

Wortelkamp, der Rebell realisierte seinenbildnerischen Drang in Eisen und Holz undkombinierte die unterschiedlichen Materialienmiteinander. Als ein Hauptwerk dieser Phasegilt die Arbeit "Vielleicht ein Baum", einvon vertikalen Wachstumssträngen akkordartiggegliedertes Baumwesen, das von verschweißtenMetallplatten flankiert wird.

Im Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburghat Wortelkamp nun das parkähnliche Freigeländeum das Kunstmuseum in seine Ausstellung einbezogenund dort seine 1990 geschaffene Skulptur "Hand"aufgestellt. Und zwar genau an jener Stelle,wo in der Regierungsstraße das im ZweitenWeltkrieg zerstörte "Braune Haus" stand: EineGestapo-Zentrale, wo Angehörige des Widerstandesgefoltert wurden. Damit hat der Bildhauer,wie anderswo auch, einen authentischen Ortgewählt, eine Schnittstelle, in der Geschichteund Gegenwart aufeinander treffen.

Von Rodin und Giacometti dazu inspiriert,gilt auch Wortelkamp die Hand als ein Sinnbildmenschlichen Wesens, als Zeichen für bewusstesschöpferischen Handeln ebenso wie für denMissbrauch als willfähriges Werkzeug. DieMagdeburger Schau zeigt vor allem Werke ausden letzten zehn Jahren: Expressive Holz-Skulpturen,in denen Gewachsenes und Gestaltetes symbiotischzusammenfinden, so wie sie gleichermaßen fürUrgewalt und Meditation stehen. WortelkampsKunst weist vielschichtige Bedeutungsebenenauf. Allein schon durch ihre übermenschlicheGröße signalisieren die vielfach auch bemaltenSkulpturen das Hinauswachsen über sich selbst,was als moralischer Imperativ für den Künstlerselbst wie für den Betrachter gelten kann.

Wortelkamps existenzielle Bildhauerkunst erzähltdurch ihre rauhen und glatten oder farblichkontrastierenden Oberflächen auch von Verletzungenund Sehnsüchten, von fundamentalen Positionen,Haltungen und Befindlichkeiten. Und dies insteter Korrespondenz zu den sie umgebendenInnen- und Außenräumen sowie zu Landschafts-und Stadtorten.

"Für mich ist nichts beendet, alles innehaltenderProzess", sagt Erwin Wortelkamp. Damit benennter, trotz des hohen Abstraktionsgrades undder Verfremdung der Werke, sein eigentlicheskünstlerisches Ziel. Das ist und bleibt aufden Menschen gerichtet, auf seinen Beziehungsreichtumwie auf die Spannungen zwischen Gleichgewichtund Instabilität.

Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg,bis 29. September, Di-So 10-17 Uhr. Katalogbuch49 Mark.