Erwin Geschonneck Erwin Geschonneck: Bösewicht, Prolet und Kauz
Berlin/dpa. - Ob Bösewicht, proletarischer Typoder komischer Kauz - festlegen ließ sich Geschonneck, der noch mitBertolt Brecht zusammengearbeitet hat, nie. Er kann auf eine fastbeispiellose Film- und Theaterkarriere mit weit über 100 Rollenzurückblicken. Der ostdeutsche Volksschauspieler wurde in seinemBekanntheitsgrad und seiner Popularität vielleicht noch von ManfredKrug erreicht.
Jetzt fordert das Alter seinen Tribut. Aus dem Haus kannGeschonneck, einst ein Ausbund an Vitalität, längst nicht mehr gehen.Der Berliner Schauspieler ist auf den Rollstuhl angewiesen und aufdie Pflege seiner 39 Jahre jüngeren Frau Heike. Aber noch immerversucht er sich auf dem Laufenden zu halten, mit Lesebrille und Lupestudiert er wie eh und je die Zeitung. Und auf dem Nachttisch liegen,vom vielen Lesen abgegriffen, das «Kommunistische Manifest» undHeines «Buch der Lieder». «Mit Ungerechtigkeiten darf man sich nichtabfinden», heißt ein Motto des bekennenden Kommunisten, der inärmlichsten Verhältnissen im Proletarierviertel in der BerlinerAckerstraße aufwuchs.
Der Autodidakt, der als einer der bedeutendsten und populärstenDDR-Schauspieler gilt, feierte in den 50er Jahren die ersten großenErfolge am Berliner Ensemble als Knecht Matti in Bertolt Brechts«Herr Puntila und sein Knecht Matti». Der Vielseitige überzeugtesowohl als Charakterdarsteller als auch in hintergründig-humorvollenRollen. In der DDR stand er in mehr als hundert Filmen vor der Kameraund gehörte zu den bestbezahlten Schauspielern. Berühmt wurde erunter anderem als schlitzohriger Tausendsassa Kalle in «Karbid undSauerampfer» oder als Lagerältester Krämer in «Nackt unter Wölfen»,beide Filme 1963 mit Frank Beyer gedreht. Mehrere Generationen kennenund lieben ihn auch als Holländer-Michel in Paul Verhoevens früherMärchenverfilmung «Das kalte Herz» von 1950.
Vor einem Jahr war der Mime, der noch unter Bertolt Brechtauftrat, in der Berliner Akademie der Künste von Freunden,Weggefährten und Fans an seinem 100. Geburtstag gefeiert worden. DerFilmstar war dabei nach mehreren Jahren erstmals wieder öffentlich zuerleben gewesen. Die Gala hatte er sichtlich genossen. «Diesmal gibtes keine Feier», sagt Heike Geschonneck entschieden. Nur die Kinderwürden zur Gratulation in die Wohnung am Alexanderplatz kommen.
Das sei auch der Wunsch des Künstlers. «Der 100. war für ihn eineArt Zielmarke, aber der 101. interessiert ihn nicht wirklich», meintseine Frau. Geschonneck hatte sich einst gewünscht: «Ich will alt wieMethusalem werden». Dabei spielte sicher eine Rolle, dass er, derunter der Nazi-Herrschaft jahrelang im Konzentrationslager saß, erstmit beinahe 40 Jahren seine eigentliche Schauspielkarriere startenkonnte. Geschonneck zählte 1945 zu den wenigen Überlebenden desUntergangs der «Cap Arcona», auf der 4000 Häftlinge eingepferchtwaren.
Ab 1946 arbeitete der im ostpreußischen Bartenstein geboreneSchauspieler bei Ida Ehre an den Hamburger Kammerspielen und kam 1949ans Berliner Ensemble. Begonnen hatte er seine Laufbahn schon in den20er Jahren in Agitprop-Theatergruppen und an Erwin Piscators JungerVolksbühne.
Für die DEFA spielte er auch in «Jakob der Lügner» von Frank Beyer(1974), der als einziger Film der DDR-Filmgesellschaft für einenOscar nominiert wurde. Zuerst hatte er abgelehnt, weil er nicht dieRolle des Jakob bekam. Geschonneck konnte ausgesprochen stur sein.Als ihn Bertolt Brecht einmal bei Proben anschrie, brüllte derSchauspieler zurück, das könne er lauter. Auch sonst hielt er nichtseinen Mund. Missstände in der DDR, die er als solche erkannte,sprach der bekennende Kommunist zum Unwillen der SED-Oberen an.
Filmrollen, in denen kommunistische Führer wie Ernst Thälmann zuIkonen stilisiert wurden, ließen den Schauspieler kalt. Er spieltelieber in Konrad Wolfs verbotenem Film «Sonnensucher» über dieZustände im Uranbergbau in Ostdeutschland einen aufmüpfigen Wismut-Kumpel. Einer seiner Lieblingsfilme ist «Bankett für Achilles». Erverkörperte darin einen Arbeiter im Chemiekombinat Bitterfeld, derseine Pensionierung nutzt, um mit den früheren Kollegen abzurechnen.
1995 hatte Geschonneck erstmals unter der Regie seines SohnesMatti gedreht - in dem Streifen «Matulla und Busch». Es war, wie erankündigte, sein letzter Film. Man müsse in Würde abtreten können,lautete sein Kommentar. Der mehrfache DDR-Nationalpreisträger wurde1993 mit dem Bundesfilmpreis geehrt.