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Erich Weinert Erich Weinert: Hinter den Barrikaden

Von Christian Eger 24.10.2003, 17:25

Magdeburg/MZ. - "Den Erich Weinert kennt doch ein Jeder", zitiert Lex Ende, Chefredakteur der "Friedenspost", am sechsten August 1950 einen imaginierten Volksmund. Lex Ende, Jahrgang 1899, als "West"-Emigrant und Mitbegründer des SED-Blattes "Neues Deutschland" selbst ein Mann mit Vergangenheit, hebt in der Zeitung der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft zu einer Glückwunsch-Arie aus Anlass von Weinerts 60. Geburtstag an.

Dass die Namen all jener Politiker und anderer "Scheingrößen", gegen die Weinert in der Weimarer Republik zu Felde zog, vergessen seien, schreibt Ende - nur eben der Name Weinert nicht; das war schon damals eine Übertreibung. Drei Wochen nach diesem Artikel wird Lex Ende im Zuge der "Noel-Field-Affäre" aus der SED ausgeschlossen und in den Wismut-Bergbau verbannt; im Januar 1951 nimmt er sich das Leben. Wer kennt heute den Namen Lex Ende? Wer Erich Weinert? Der Name hallt nach, das Werk ist verschwunden.

Muss man das bedauern? Es steht die Frage, was heute am Schaffen Weinerts, des ersten großen "Sprechdichters" von links, von Interesse sein könnte: die Literatur, deren Zeitgeist oder dieses eine Menschenleben, das all das auf Trab hielt? Im Fall Weinert kann es nicht vorrangig um literarische Denkmalpflege gehen, nicht um das Hochhalten einzelner Kampftexte wie "Der Rote Wedding" oder "John Scheer und Genossen".

Ohne Kenntnis der Zeit und ihrer Kämpfe bleibt die Wirkung dieser Verswerke oft äußerlich. Das Einfache - manchmal zu Einfache - dieser Texte sowie deren Redundanz und hart am Klischee arbeitende Optik werden missverstanden, wenn sie nicht als vorsätzlich und kunstvoll begriffen werden: Weinerts Texte lebten von Weinerts ureigenem Vortrag, dem Funkenflug hin zum Publikum. Dieser Mann war ein "Öffentlicher Dichter" - als dieser wurde er gefürchtet.

Vierzig Jahre nach einem im Ostberliner Aufbau Verlag vorgelegten Weinert-Lesebuch liegt nun endlich ein neues vor: "Genauso hat es damals angefangen", erschienen im halleschen "projekte verlag": 318Seiten für 20Euro. Rund 120thematisch geordnete Gedichte, ausgestattet mit einem anregenden Vorwort von Rüdiger Ziemann. Im Palais am Fürstenwall in Magdeburg wurde das Buch am Donnerstagabend präsentiert: Eine Heimholung auf mehreren Ebenen. Weinert war ein Magdeburger; als Rekrut soll er einst auf Posten vor dem Palais gestanden haben, in dem Hindenburg residierte. Und überhaupt: Literaturhistorisch ist Weinert ein Mann von Rang.

Doch es geht um mehr: Um einen engagierten Intellektuellen, der wie viele seiner Zeitgenossen über das Erlebnis des Ersten Weltkrieges zum Kommunismus kam. Es geht um eine Haltung, die im Pathos der Offenbarung in ernster Lage den Menschen ernst gemeinte Lösungen zurufen musste. Der Realismus Weinerts ist ja recht eigentlich ein Anti-Realismus, einer, der sich gegen eine konkretes Unglück fördernde Realität wendet - der Dichter als Auswegweiser. Ist Politische Dichtung eine Dichtung minderer Güte? Nein, sagt Rüdiger Ziemann im Lesebuch. Wenn Dichtung der Niederschlag dessen ist, was eine Seele an- und aufrührt, sei nicht einzusehen, warum ausgerechnet das politische Geschehen davon ausgeschlossen sein soll.

Neben den Weinert rezitierenden Dessauer Schauspielern Silke Wallstein und Bernd Lambrecht war Heinrich Graf von Einsiedel, 82, das Hauptereignis des Magdeburger Abends. Als 22-jähriger Leutnant war Einsiedel 1943 in Krasnogorsk zu einem der Stellvertreter Weinerts im Nationalkomitee Freies Deutschland berufen worden. Es sei eine Kröte für die Kommunisten gewesen, dass sie mit den pünktlich Gewendeten unter der Schwarz-Weiß-Roten Fahne sitzen mussten. Weinert aber, sagt der Urenkel Bismarcks, war kein Parteisoldat. In der Tat erscheint er als Charakter ganz ohne Tadel.

Jedoch, so zog Einsiedel nach, müsse er auch feststellen, dass Weinert - wie viele seiner Genossen - bis 1933 nicht zuerst gegen die Nazis, sondern gegen den Weimarer Staat und die Sozialdemokratie gestritten habe; dass in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes 1939-1942 bei ihm "Sendepause" geherrscht habe. Hier ist einzuwenden: Das Verbot lautstarker NS-Kritik betraf das gesamte kommunistische Exil.

Rüdiger Ziemann nennt Weinerts Werk eine "Suite der Niederlagen" und "Revue des Überstehens". Doch war Weinerts Überstehen nicht auch eine Niederlage? Ein Revolutionssänger, der 1946 in ein Volk zurückkehrt, das keine Revolution vollzogen hatte - und auch nicht vollziehen wird. Um einen Weinert von "unten", von seinen Wünschen und Niederlagen her, geht es heute. In seinen Niederlagen zeigt sich der Einzelne ganz.