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Erich Loest Erich Loest: Fehlen Fakten, qualmt die Geschichte

Von CHRISTIAN EGER 08.02.2011, 19:28

Halle (Saale)/MZ. - Am Montag veröffentlichte die "Dresdner Morgenpost" ein Interview mit dem Leipziger Schriftsteller Erich Loest, der am 24. Februar 85 Jahre alt wird. Ein das Leben des großen ostdeutschen Erzählers umkreisendes Gespräch, aus dem die Nachricht verbreitet wurde, dass Loest "nach eigenen Angaben in seiner Jugend NSDAP-Mitglied" gewesen sei (MZ berichtete). Als "glühender Nazi" habe Loest Anfang 1944 einen Aufnahmeantrag in die Partei gestellt, aber erst vor wenigen Jahren von dessen Bestätigung am 20. April 1944 - Hitlers Geburtstag - erfahren. Die nunmehr aktenkundige Mitgliedschaft erscheine Loest aber als "unerheblich". Er habe sich stets zu seiner "nationalsozialistischen Verblendung" bekannt.

Letzteres ist richtig und in Büchern wie "Durch die Erde ein Riß" oder "Jungen die übrig blieben" belegt; allein die Information darüber, dass der aus Mittweida stammende Jungzugführer Loest auch einen Antrag auf NSDAP-Mitgliedschaft gestellt hatte, war bislang unbekannt. Man fragt sich: Warum kommt das jetzt in die Arena? Und siehe da: Unter dem Titel "Geschichte, die noch qualmt" erscheint dieser Tage im Göttinger Steidl Verlag ein Buch, das Aufsätze einer Gießener Konferenz von 2009 zum Werk und Leben Loests versammelt. Im Buch findet der Leser ein mit dem Literaturwissenschaftler und Mitherausgeber Carsten Gansel 2009 mit Erich Loest geführtes Gespräch, in dem dieser die NSDAP-Tatsache seinem Gesprächspartner nahezu aufdrängt. Gansel wollte eigentlich nur bestätigt sehen, dass Loest 1944 nicht zum "letzten Aufgebot" der Wehrmacht gehört habe.

Nachgetragener Fakt

Loest darauf im Wortlaut: "Zunächst möchte ich etwas erzählen, was noch nirgendwo steht. Ich habe mich selbstverständlich als NSDAP-Mitglied beworben, wurde aber drei Wochen später zum Militär eingezogen. Nun galt die Regel, dass in der Wehrmacht jede NSDAP-Mitgliedschaft ruhte. Auf meinen Antrag erhielt ich keine Rückmeldung. Als ich dann später aus der Gefangenschaft zurück kam, ging ich in Mittweida zum Meldeamt, wo sie eine Liste über NSDAP-Mitglieder führten. Ich fragte, ob ich noch aufgenommen worden wäre. Es fand sich nichts. Prima, dachte ich, eine Schwierigkeit weniger. Nun bekam ich vor einem halben Jahr einen kurzen Brief von einem Bundesamt in Berlin, der mich darüber informierte, dass sie auf Anfrage eines Journalisten in dieser Sache recherchiert hätten. ,Sie haben am 14. Februar 1944 einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt und sind am 20. April in die NSDAP aufgenommen worden (...).' Ich bin also doch Mitglied der NSDAP gewesen. Das konnte ich nicht in meine Bücher aufnehmen, auch nicht in ,Durch die Erde ein Riß', weil ich es schlichtweg nicht wusste."

Warum er damit nicht an die Öffentlichkeit gegangen sei, will Gansel wissen. Loest: "Wenn ich das zu einer Meldung gemacht hätte, wäre ihm zu viel Gewicht beigemessen worden. Denn was besagt der Vorgang? Dass im Bombenjahr 1944 zwischen München und Mittweida eine Nachricht nicht angekommen ist. Ansonsten besagt das gar nichts - zumal ich immer betont habe, wie beeinflußt ich von der NS-Ideologie war. Es hat auch mit meinem Charakter überhaupt nichts zu tun. Dieser Fakt ist in meinem Lebenslauf nachzutragen." - Nun, letzteres wäre also geschehen. Allein, was ein Vorgang "besagt" oder nicht, entscheidet im Blick auf ein Ereignis oder eine Person der Zeitgeschichte ein jeder Mensch selbst.

Es geht um Mündigkeit

Denn es geht um Mündigkeit - auch in der Beurteilung von Lebenstatsachen. Es geht darum, dass das Publikum die Chance besitzt, zu erfahren, mit wem man es jeweils zu tun hat. Das gilt auch für den Herausgeber Carsten Gansel, Jahrgang 1955, von dem man nur erfährt, dass er u. a. Literatur- und Mediendidaktik in Gießen lehrt. In seiner im Buch angehängten Laudatio auf den Gießener Ehrendoktor Erich Loest lobt Gansel dessen "Zivilcourage und Unbeugsamkeit". Allerdings formelhaft und vage: "Ich habe ,Durch die Erde ein Riß' vor vielen Jahren unter ganz anderen Umständen als den heutigen gelesen". Unter welchen denn?

In Gansels Publikationsliste im Internet fehlt ausgerechnet seine Dissertation an der Pädagogischen Hochschule Güstrow von 1981. Thema: "Tendenzen der antikommunistischen Wertung der sozialistischen Nationalliteratur der DDR in der BRD, ihre Reflexion im Deutschunterricht der BRD als einem Bestandteil der Politischen Bildung der Schuljugend". Wie lange qualmt Geschichte? So lange Fakten gedeckelt werden.