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Emilie Fontane Emilie Fontane: Punschlos glücklich

Von Matthias Frede 08.11.2002, 09:15

Halle/MZ. - "Punschlos, einen einzigen Pfannkuchen in der Hand", so haben Fontanes in Berlin das neue Jahr 1898 begrüßt. Es ist das Abschiedsjahr. Wie immer gegen Ende zeitweiliger Trennungen beginnt der alte Theodor am 20. September den finalen Brief an seine bei Bekannten in Dresden-Blasewitz weilende Frau Emilie mit der üblichen Floskel: "Dies sind nun also die letzten Zeilen . . ." Um neun Uhr abends stirbt er, laut- und schmerzlos, betreut von Tochter Mete.

"Es war ein schönes Leben mit ihm, und ich würde es gleich noch einmal beginnen", bekennt Emilie. Alsbald wird sie den Nachlass sichten, diverse Fontane-Schreiben an andere zurück erbitten oder kopieren, um das kaum überschaubare Briefwerk für eine Gesamtausgabe zu ordnen. Aber sie verbrennt einen fast fertigen Berlin-Roman des Dichters und sämtliche Korrespondenz ihrer fünfjährigen Brautzeit vor der Eheschließung.

Trotzdem, wir wissen ja schon allerlei über den "Krimskrams des engsten Zirkels" im Hause F.: durch Tagebücher, verstreute Notizen, autobiografische Schriften und eben unzählige Postsachen. Erhalten sind darunter immerhin noch 180 (seit 1998 zugängliche) Briefe, die das schwarzäugige "Chiocciarenkind aus den Abruzzen" an ihren "bösen Nöhl" geschrieben hat, sowie zirka 300 an Freunde oder Verwandte.

Nun bedurfte es wohl eines ausgewiesenen Fontane-Kenners wie des forschenden Herausgebers Gotthard Erler, um aus diesem Dokumenten-Puzzle eine Emilien-Biografie zu filtern - angeblich der erste Versuch solcher Art, wenigstens seit 1937. Für seinen beabsichtigten Entwurf zur "romanhaften Lebensgeschichte" einer gewiss ungewöhnlichen Frau des 19. Jahrhunderts sondierte der Autor exakt die handschriftlichen Zeugnisse aus sechs Jahrzehnten. Das ist zunächst eine staunenswerte Fleißarbeit und als Ver-Dichtung solide, umfassend, detailliert, im Sinne der Zuneigung munter serviert, bisweilen amüsant, wenngleich ohne jede denkbare Illustration.

Erler hat das erkundete Material in chronologischer Abfolge zu 14 Kapiteln (mit bemüht populären Zwischenüberschriften) verarbeitet. Verwunderlich nur für einen wissenschaftlich geschulten Fachmann, dass er sich dabei nirgends der Mühe unterziehen mochte, die genauen Quellen seiner zahllosen Text-Zitate ordentlich zu belegen. Neben Zeittafel und Namenregister findet sich im Anhang auch kein Hinweis auf verwendete Sekundärliteratur. Instruktiv ist dort hingegen der originale Abdruck einiger ergänzender Briefe sowie des Fragments der "Jugendnovelle", einer 1859 (oder bereits 1858?) in London entstandenen autobiografischen Skizze, die Emilie dem befreundeten Berliner Juristen und Schriftsteller Wilhelm von Merckel nebst Familie zugeeignet hatte. Jenseits der editorischen Nachlässigkeiten vermag Erlers minutiöse Lebensbeschreibung vor allem dann zu überzeugen, wenn sie sich mit ihrer oft sprunghaften Tendenz zu wiederholten Aussagen nicht allein als penible Familien-Chronik versteht, sondern in den besten Buch-Passagen des 7. bis 12. Kapitels auch thematisch tiefer lotet und individuelle wie zeitliche Zusammenhänge kommentierend erhellt: Szenen einer (50jährigen) Ehe oder "Sicherheit is nich".

Emilie, geborene Rouanet, adoptierte Kummer, verehelichte Fontane, "halb aus Beeskow und halb aus Toulouse" - das "vergleichsweise sehr verhübschte" Heimchen am häuslichen Herd? Nichts da. Vielmehr ersteht das Bild einer durchaus eigenwilligen, musisch ambitionierten Dichtergattin, treusorgenden Mutter und fleißigen Hausfrau, die ihrem egomanen "Quängelpeter" schon mal bescheinigte, "harmlos wie ein Kind, und argwöhnisch wie ein Jesuit" zu sein.

Schwierige Kindheit unter häufig wechselnden Verhältnissen, Berliner Verlobung mit dem "Herzensmann Theo" auf der Weidendammer Brücke und unendliche Brautzeit, ständige finanzielle Nöte, berufliche Seiltänze und intime Spannungen, andauernder Wohnungstausch, sieben strapaziöse Geburten, wobei drei Söhne aus der "kleinen Kinderfabrik" kurz darauf sterben, mannigfache familiäre Probleme, unablässige Mitarbeit als geistig anspruchsvolle "Abschreibe-Maschine", dazu unzählige Briefschaften, Krankheit und Tod: Dies war das schöne, schwere Leben der Emilie, die als Witwe getrost mit "Fr. Th. Fontane" unterzeichnen durfte. Und so ist sie, wenn auch etwas wohlfeil und "punschlos", in der längst fälligen, ihrer erstaunlichen Person zugeneigten Biografie porträtiert worden.

Gotthard Erler: "Das Herz bleibt immer jung", Biografie der Emilie Fontane, Aufbau, Berlin, 460 Seiten, 25 Euro.