Einstürzende Neubauten Einstürzende Neubauten: Bürgerschreck geht auf leisen Sohlen
Halle/MZ. - Eine Wandlung, an der die beiden Ur-Neubauten Blixa Bargeld (voc) und Alex Hacke (bg) seit dem 1996er Album "Ende Neu" gemeinsam mit den Neuzugängen Jochen Arbeit (git) und Rudolf Moser (perc) werkeln. Spätestens mit ihrem vor vier Jahren erschienenen Werk "Silence is sexy" haben sich die Neubauten vom verwegenen Wildern in musikalischen Randgebieten verabschiedet.
Das hüftsteife, bedeutungsschwangere Bürgerschreckgehabe vergangener Zeiten überlässt die neuerdings um Altmitglied N.U. Unruh geschrumpfte Kapelle anderen, während sie selbst die Pop-Musik als Angelegenheit für intelligente Menschen neu erfindet.
Blixa Bargelds Stimme, hier hauptsächlich damit beschäftigt, Wind, Wellen und Liebesweh zu beschreiben, ist natürlich immer noch ein Flüstern und Raunen, ein Gitarrensolo natürlich immer noch ein unvorstellbar Ding. Doch Stücke wie "Ich gehe jetzt" swingen richtiggehend, wenn auch teutonisch tapsig.
Der Titelsong hingegen hypnotisiert mit Federbeats und patzigen Parolen wie "Es wird, wie's war" und das "Selbstporträt mit Kater" ist selbstironisch in einer Weise, die dem stets gedankenschwer wirkenden Bargeld wohl kaum jemand zugetraut hätte.
Wenn er unterwegs ist im "durchsichtigen Nervenkostüm" (Textzitat) in seinem "unsichtbaren offenen Kamin", in einem "unsichtbaren Haus mit Garten" wohnt oder bei "Boreas" entdeckt, dass "das Land in Sicht ein Teil der Arktis ist", schaffen es die Neubauten auch im 24. Jahr ihres Bestehens, sich nicht zu wiederholen.
Sehr planmäßig in diesem Fall: Statt wie üblich mit einem Vorschuss der Plattenfirma ins Studio zu gehen, sammelte die Band diesmal von einigen tausend Unterstützern Geld ein. Für 25 Euro durften die beim Aufnahmeprozess zuschauen, zuhören und sich per Internet sogar in die Arbeit am Album einmischen. "An einigen Stücke", so Bargeld, "hätten wir nicht weitergemacht, wenn die Unterstützer es nicht gefordert hätten."
Als Belohnung für die Mitarbeit gab es am eine exklusive "Supporters"-CD mit sonst nirgendwo erhältlichen Aufnahmen für die Beteiligten. Die besten Stücke finden sich aber natürlich auf dem regulären Album, das Neubauten-typisch in einer aufwändig gemachten Klapphülle erscheint. Zwölf Songs loten den Raum zwischen absurder Operette und nachtschwarzer Ballade aus, Bargeld klingt mal wie Rio Reiser, mal wie Otto Sander, und die Band musiziert auf ihrem selbstgemachtem Instrumentarium verblüffend traditionell. "Youme & Meyou", einzig durchweg englischsprachiger Song, ist gar ein streichelzahmer Hit, nach dem sich Bargelds alter Freund Nick Cave alle zehn Finger lecken würde.
Und so sind die Neubauten, kurz vor ihrem Vierteljahrhundert-Jubiläum: Musik statt Krach, Provokation im Inhalt statt in der Form: Das Genie ist noch da. Nur der Bürgerschreck ist weg.
Einstürzende Neubauten live: Werk II Leipzig, 01. März