Tarzan aus Sangerhausen Einar Schleef wäre am Donnerstag 75 Jahre alt geworden - Tarzan aus Sangerhausen

Halle (Saale) - Dass es dem Mann nicht den Kopf sprengte, - bei allem, was er da drinnen trug! Dafür hat sein Herz nicht gehalten, der schwache Muskel. Am 18. Januar 2001 hat es schon einmal rebelliert, er wird ins Jüdische Krankenhaus Berlin eingeliefert, eine Kur schließt sich an. Aber am 21. Juli kann man ihn im Paulinenkrankenhaus im Berliner Westend nicht mehr retten. Keiner weiß dort zunächst, wer dieser Mann ist. Keiner fragt nach ihm. Es ist Ferienzeit. Erst elf Tage später wird die Öffentlichkeit erfahren, dass der Schriftsteller Einar Schleef gestorben ist. An diesem Donnerstag, im 18. Jahr danach, wäre er 75 geworden.
Bedingungslose Hassliebe
Wenn man seine Tagebücher zur Hand nimmt, die bei Suhrkamp erschienen sind, wird man nicht aufhören wollen zu lesen: Was hatte dieser Mann noch vor! Wie sehr hat er an sich selbst und seinem deutsch-deutschen Land gelitten. Wie bedingungslos hing er an dem, das er doch auch von Herzen verfluchte. Wie klar war er in seiner poetischen Analyse. Wie viel Liebe hat er besessen. Und wie viel Talent. Nicht nur ein Schriftsteller von Rang - auch als Maler, Regisseur und Bühnenbildner war Schleef groß. Manchmal übergroß. Ein Titan, den aber nur wenige noch kennen.
Seine Schauspieler schon, viele aus der ersten Liga darunter. Jutta Hoffmann zum Beispiel, die wie er von Ost nach West gegangen war. Oder Richy Müller, der Westler aus kleinen Verhältnissen, der es später noch zum „Tatort“-Kommissar gebracht hat. Spricht man mit ihnen, spürt man Trauer, aber vor allem tiefe Dankbarkeit: Von Schleef, der als Regisseur ein unerbittlicher Tyrann sein konnte, haben sie alle gelernt. Und sie vermissen ihn.
Elfriede Jelinek, deren „Sportstück“ Schleef 1998 am Wiener Burgtheater zur spektakulären Uraufführung brachte und die sechs Jahre später den Literatur-Nobelpreis erhielt, schrieb nach Schleefs Tod: „Es hat nur zwei Genies nach dem Krieg in Deutschland gegeben, im Westen Fassbinder, im Osten Schleef.“ Da ist etwas dran.
Genies machen es sich und anderen nicht leicht. Schleef, am 17. Januar 1944 in Sangerhausen geboren, hat sein Päckchen früh zu tragen bekommen: Hier die Übermutter Gertrud, die noch, als er längst schon in Berlin lebte, Gewalt über ihn haben wollte. Und hatte. Dort die Schatten des Krieges, die Verdruckstheit der Leute vor ihrer Haldenlandschaft. Eine Kulisse, die Schleef prägen wird.
„Ein ganzes Volk, was seine Vergangenheit verschlingt“, schreibt er, „das Aas unter der Erde versteckt, um es, wenn es Zeit ist, wieder hervorzuholen.“ Schleef, der kompromisslose Erinnerungsarbeiter. Der brüllende Stotterer, der sich verwünscht dafür und, dem Zeitgeist zuwider, den Chor für das Theater neu entdeckt. Dazu ein Tragiker mit staubtrockenem Humor.
„Der Tod von Heiner Müller war ja schon happig ... aber das Ende von Take That - da weiß man ja gar nicht mehr!!“, notiert er. Und über sich selbst: „In meinen Texten steht für vieles der eigene Lebenslauf ... den erst der Exitus fixiert. Dem gilt es zuzustreben.“ Lakonisch endet das Tagebuch.
Das Leben im Text
Gerade hat eine junge Truppe im „HAU“, dem alten Hebbel-Theater in Berlin-Kreuzberg, Schleef ein chorisches Ständchen aus seinen Texten gespielt: „Tarzan rettet Berlin“. Rührend anzusehen. Heiter und laut. Schleef hätte es gefallen. Er liegt in Sangerhausen begraben. Dort, woher er kommt. Und lebt überall. Wer seine Texte liest, wird ihm begegnen.
››In Sangerhausen wird an diesem Samstag ab 15 Uhr im Kaffeehaus Kolditz „Happy Birthday, Einar“ gefeiert.
Für Einsteiger ist ein Schleef-Lesebuch erschienen: „Und der Himmel so blau“, Berlin, Elfenbein-Verlag, 184 S., 22 Euro
(mz)


