Ein sehr subjektiver «Lyrik-TÜV» ohne Frauen
Frankfurt/dpa. - Der Anspruch ist gewaltig: Ein ganzes Jahrhundert deutsche Dichtung soll einem «Lyrik-TÜV» unterzogen werden. Es geht um das 20. Jahrhundert und der Autor Steffen Jacobs stellt zehn Lyrikbände namhafter Autoren stellvertretend auf den Prüfstand - ohne genau seine Auswahlkriterien zu benennen.
Schon seine Wahl der Autoren ist sehr subjektiv. Unter anderem ist Wilhelm Busch dabei und auch Joseph Weinheber, der sich 1939 mit einem «Führer-Gedicht» disqualifiziert hat. Das größte Manko dieses Buches ist aber, dass offenbar keine einzige Frau für die TÜV-Prüfung in Betracht kommt. Namen wie Ingeborg Bachmann, Sarah Kirsch, Friederike Mayröcker, Mascha Kaléko oder Marie Luise Kaschnitz - Fehlanzeige.
Das Grundmuster der Untersuchung ist stets gleich. Zur Werkinterpretation ausgesuchter Gedichte wird der biografische Hintergrund des Dichters beleuchtet und dann das TÜV-Urteil gefällt. Anstrengend ist bisweilen ein selbstgefälliger, burschikoser Stil des Autors, der stellenweise zu aufdringlich locker und unangemessen ist. Ein Beispiel zu Gottfried Benn: «Askese passt ohnehin nicht recht zu Benn, der gern reichlich und regelmäßig speiste, genussvoll rauchte, mit Begeisterung Bier trank und das Körperliche keineswegs nur in der Sprache, sondern auch bei einer ziemlich sprachlos machenden Zahl von Frauen suchte.»
Kommen wir zum Ergebnis des Lyrik-Tüvs, das sich so zusammenfassen lässt: Wilhelm Busch ist verkannt, Stefan George der Führer, Rilke ein «empfindungsgestörtes Genie», Gottfried Benn der Größte, Peter Rühmkorf der «sympathische Handwerker», Hans Magnus Enzensberger der «janusköpfige Hochbegabte», Harald Hartung der «ehrliche Formalist", Robert Gernhardt der ironische Volksdichter und zuletzt Durs Grünbein der überschätzte Klassiker, das war's. Diese jüngste Veröffentlichung in Eichborns «Anderer Bibliothek» bleibt weit hinter der gewohnten Qualität dieser Reihe zurück.
Steffen Jacobs
Der Lyrik-TÜV
Die Andere Bibliothek Band 268, Eichborn Verlag 2007
349 S., Euro 30,00
ISBN 978-8218-4565-4