Durs Grünbein Durs Grünbein: Das Staunen nie verlernen
Naumburg/MZ. - Der Wahlberliner Schriftsteller Durs Grünbein ist der fünfte Nietzsche-Preisträger und erste Dichter in einer Reihe namhafter Wissenschaftler und Philosophen, die sich bislang dieses mit 15 000 Euro dotierten Preises rühmen können.
Grünbein - Lyriker, Essayist und Theaterautor - würdigte in seiner Dankesrede denn auch weniger Nietzsches philosophisches Werk, das für ihn gleichsam ein dichterisches ist. Drei Eigenschaften, so Grünbein, machen den wahren Dichter aus. Und diese Eigenschaften seien auch Nietzsche zu eigen gewesen. Zum einen "eine enorme Fähigkeit zu staunen", zum anderen "der Umgang des Dichters mit seiner Muttersprache". Hier erwähnte Grünbein Nietzsches "Musik im Vers". Die dritte Eigenschaft formulierte er wie ein göttliches Gebot: "Du sollst ein Primärautor sein!" Quasi in Klammern setzte er hinzu: "Bleibe immer gegen den Griff der Sekundärliteratur".
Nietzsche, stellte der 41-Jährige fest, "beherrschte die Kunst, das Auftauchen der Worte zu inszenieren". Er würdigte den Philosophen am Schluss seiner brillanten Rede: "Ein Denker ja. Beinahe ein Dichter." Dabei gehörte Nietzsche in der DDR zu den verbotenen Autoren, erinnerte sich das "ostdeutsche Schattengewächs" Grünbein. Umso erstaunter sei er gewesen, als er 1988 eine wertvolle bibliophile Ausgabe von "Ecce Homo" in der Auslage der Bertolt-Brecht-Buchhandlung in Ostberlin entdeckte. Grünbeins erster Gedanke bei diesem ungeheuren Anblick: "Nietzsche in Ostdeutschland - das ist der sozialistische Weltuntergang!"
Der Philosoph sei der Arzt der Kultur. Dies habe niemand so tief empfunden wie Durs Grünbein, meinte Volker Gerhardt, der Vorsitzende der Jury für die Vergabe des Nietzsche-Preises. Der in Berlin lehrende Philosoph würdigte den Dichter in seiner Laudatio als "scharfsinnigen Interpreten und Kritiker Nietzsches". Grünbeins kongeniale Kritik an dem "sächsischen Sprachakrobaten" gehöre zum Besten, was nach Thomas Mann über Friedrich Nietzsche geschrieben worden sei, setzte Gerhardt hinzu. Mit zahlreichen Zitaten aus dem Werk des Preisträgers legte er dem Auditorium dar, warum Grünbein als erster Dichter zum Nietzsche-Preisträger ernannt wurde. Hier ein Beispiel: "Existenz erklärt sich und wird Heiterkeit". Der Laudator dazu in Anlehnung an den Titel eines Lyrikbandes: "Das ist die Schädelbasislektion". "Wenn ich mich jetzt zur Aufzählung der großen Dichter hinreißen ließe, gehörte Durs Grünbein mit Sicherheit dazu", so der Jury-Vorsitzende.
"Mit ihren Werken haben Sie sich als Skeptiker der Gesellschaft artikuliert, der mit satirischer Lust die Alltagsmonotonie konterkariert und häufig auch versucht, zeitkritische Spannung über den Umweg des Abtauchens in halb verschollene Geschichte zu erzeugen", lobte Kultusminister Olbertz vor der eigentlichen Preisverleihung den Dichter Durs Grünbein. "Grundsätzlich ist die Geschichte eines Dinges die Summe seiner immer neuen Interpretationen und Zurechtmachungen", zitierte der Minister Nietzsche. In des Philosophen Sinne sei Grünbein ganz nahe beim Namensgeber des Preises.
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