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Drama spült Fragen hoch

Von Frank Harnack 14.04.2008, 19:24

Leipzig/Dessau/MZ. - Das Leipziger Elsterwehr gestern Vormittag: Boote mit Suchmannschaften werden zu Wasser gelassen, Taucher machen sich bereit, Bereitschaftspolizisten durchkämmen die Ufer, ein Hubschrauber kreist über der Szenerie. Die Einsatzkräfte suchen nach dem immer noch vermissten zwölfjährigen Jungen. Er war am Sonntag mit seinen Vereinskameraden aus Dessau-Roßlau gekentert. Sie wollten an einer Regatta teilnehmen, als ihr Boot ins Wehr geriet und vier Meter tief abstürzte. Die anderen vier Kinder im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren liegen im Krankenhaus.

Sorgfaltspflicht verletzt?

Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft richten sich gegen die Führung des Leipziger Rudervereins Triton, der die Regatta veranstaltet hatte. Staatsanwalt Ricardo Schulz verweist auf den hohen Wasserstand des Elsterkanals nach starken Regenfällen. Auf die höhere Fließgeschwindigkeit des Wassers. Auf die Unerfahrenheit der jungen Ruderer, ihre fehlende Ortskenntnis. "Angesichts dieser Umstände müssen wir prüfen, ob da jemand seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist."

Unklar ist auch, warum kein Motorboot zur Sicherung vor dem Wehr lag, dessen Besatzung hätte eingreifen können. "Es gab Begleitboote", sagt Polizeisprecher Andreas Loepki, "warum aber gerade dort nicht, müssen wir noch klären." Die Dessauer Ruderer machen dem Leipziger Verein unterdessen schwere Vorwürfe: "Die Veranstalter hätten uns auf die Gefahren hinweisen müssen", sagt Yvonne Schiek von der Rudervereinigung Dessau. Nicht die einzige Kritik: Die Bojenleine vor dem Wehr sei "ein optisches Warnsignal für die Ruderer, mehr nicht", sagt Vereinspräsident Rainer Surke. Hätte die Leine aber tiefer gehangen, "wäre der Vierer dort vielleicht gestoppt worden", kritisiert Axel Zehrfeld, 15 Jahre lang Trainer in Dessau. Dort wird allerdings auch spekuliert, ob möglicherweise ein gerissenes Steuerseil das Boot außer Kontrolle geraten ließ.

Auch Jens Geißler ist ratlos. "Wir rudern seit Jahrzehnten auf dem Elsterkanal", sagt der Triton-Vorsitzende. Man sei die Strecke abgefahren und habe sich für die Regatta entschieden. Er räumt aber ein, dass die Strömung stärker als sonst gewesen sei. Das bestätigt Jens Knaust von der Flussmeisterei Leipzig: "Normalerweise fließen 15 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch das Wehr, jetzt waren es 100", erläutert er. "Da kann man schon von Hochwasser sprechen."

Gebühren gespart?

Die Frage, die Regatta aus dem Grund nicht zu genehmigen, hat sich für die Stadt Leipzig jedoch nicht gestellt. "Bei uns ist keine Genehmigung für die Regatta beantragt worden", sagt Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal. Und hätte es eine Genehmigung gegeben, hätte die Stadt festschreiben lassen, dass die Regatta bei Hochwasser "nicht durchführbar ist". Geißler bestätigt, dass die Regatta nicht angemeldet worden sei. Es habe nur Absprachen mit Ämtern gegeben, die aber Randaspekte, etwa die Nutzung von Grünflächen, betrafen. Der Deutsche Ruderverband teilte mit, es habe sich um eine "frei vereinbarte Regatta" gehandelt. Dies sei insbesondere in jungen Altersklassen durchaus üblich und spare dem Veranstalter Gebühren.

Unterdessen sorgt eine peinliche Panne für zusätzliches Aufsehen: Am Sonntagabend war ein Mitglied der Bootsbesatzung schon für tot erklärt worden. Doch der Elfjährige lebt. Laut Polizei ist er nicht ansprechbar und wird künstlich beatmet. Polizeisprecher Loepke spricht von einem "behördeninternen Übermittlungsfehler". Dass im Informationsfluss zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft etwas schief lief, will niemand bestätigen. "Wir prüfen das noch", sagt Staatsanwalt Ricardo Schulz. Zum Zustand der anderen drei geretteten Kinder macht die Polizei vorläufig keine Angaben mehr.

Einen Tag vor dem Unglück war die Besatzung des gekenterten Mixed-Vierers noch beim traditionellen Anrudern der Saison auf der Mulde in Dessau aktiv gewesen. "Die Strömung in Leipzig war längst nicht so stark wie auf der Mulde. Deshalb habe ich das Boot auch zum Wettkampf rausfahren lassen", lässt die noch immer unter einem schweren Schock stehende Trainerin erklären. Jetzt denkt in Dessau niemand mehr an Rudern. Die Vereinsführung verhängt nach der Katastrophe und wegen des Hochwassers der Mulde ein Wasserverbot für die Aktiven. Kommentar Seite 4