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Doppeljubiläum Doppeljubiläum: Wagner und Verdi feiern 200. Jubiläum

Von Johannes Killyen 08.02.2013, 19:03

Halle (Saale)/MZ. - Auch zu Giuseppe Verdis 200. Geburtstag wandert der Blick unwillkürlich ans Ende seines langen Lebens: Tausende von Menschen hatten sich in Mailand vor dem Hotel Milan zusammengefunden, um dem greisen Meister in seinem Todeskampf nahe zu sein. Die Straßen wurden mit Stroh bestreut, das kreischende Straßenbahnen dämpfen sollte.

Und als Verdi dann am 27. Januar 1901 gestorben war, schlossen in Mailand drei Tage lang die Geschäfte; König und Senat hielten inne in ihren Beratungen. Hunderttausende zogen durch die Straßen und stimmten die heimliche Hymne Italiens an: "Va, pensiero, sull'ali dorate", "Flieg, Gedanke, getragen von Sehnsucht" - den Gefangenenchor aus "Nabucco".

Betrachtet man Werk und Wirken Giuseppe Verdis, wird verständlich, warum die Italiener dem Komponisten zu Füßen lagen. Weit über ein halbes Jahrhundert prägte er mit seiner Musik und war schon als junger Mann die Gallionsfigur der italienischen Oper: ein Verehrer der musikalischen Tradition und Revolutionär zugleich; ein dem Volke verbundener Patriot, der den Vereinigungskampf seines Landes in Szene und Töne setzte; ein Gutsherr, der akribisch und gerecht sein Anwesen verwaltete; ein Humanist und Wohltäter, Stifter eines Altenheims für Musiker; ein Mensch schließlich, der Taten mehr schätzte als große Worte und in seiner Bescheidenheit fast beleidigend sein konnte.

Welch ein Unterschied zum Selbstdarsteller und Tyrannen Richard Wagner, der mit dem Italiener auf immer durch das gleiche Geburtsjahr verbunden ist. Verdi studierte eingehend Wagners Partituren und soll dessen Tod mit dem Ruf "Triste, triste, triste" beklagt haben. Der Sachse hielt ihn dagegen nicht einmal der Erwähnung für wert und findet in diesem Jahr an mitteldeutschen Bühnen auch deutlich mehr Beachtung. Im-merhin: An der Mailänder Scala stehen die Großdramatiker des 19. Jahrhunderts Seite an Seite. Ein Tag "Maskenball", ein Tag "Götterdämmerung".

Giuseppe Verdi wurde am 10. Oktober 1813 nahe der Kleinstadt Busseto geboren, die sich zwischen Mailand und Parma befindet. Ganz in der Nähe sollte der Meister später sein Landgut Sant'Agata und auch die Villa Verdi aufbauen. Trotz des früh erkannten musikali-schen Talents hätte der Sohn norditalienischer Bauern es vermutlich nicht weit gebracht ohne Unterstützung seines Mäzens und Schwiegervaters Antonio Barezzi, der ihm ein Privatstudium finanzierte und ihn 1836 als Musikdirektor von Busseto durchsetzte.

In der Provinz hielt es den jungen Verdi nur kurz: Bereits seinen Opernerstling "Oberto" konnte er an der Mailänder Scala 1839 zum Erfolg bringen und war von da ab ein gefragter Komponist. 25 weitere Opern folgten, dazu wenige geistliche Werke und etwas Kammermusik, unter zum Teil dramatischen Bedingungen: Schon 1840 starben Verdis erste Frau und die zwei Kinder, allgegenwärtig waren die Kämpfe um die Einheit Italiens, ein schweres Joch die Zensur, die nach Lust und Laune religiöse, politische oder sonstige aktuelle Anspielungen aus den Opernlibretti strich. Kein Wunder, dass der Kom-ponist für kurze Zeit zum leidenschaftlichen Politiker wurde. Gern gesehener Gast war er in Paris mit seiner Lebensgefährtin und späteren Frau Giuseppina Strepponi.

Doch bei weitem nicht alle Opern Verdis reüssierten, viele sind aus den Spielplänen nahezu verschwunden. Sein erster großer Erfolg, "Nabucco" (1842), ist freilich bis heute präsent, ebenso die großen Klassiker des Repertoires: "Rigoletto" (1851), "Der Troubadour" und "La Traviata" (1853), "Ein Maskenball" (1858), "Die Macht des Schicksals" (1862), "Macbeth" (1865), "Don Carlos" (1867), "Aida" (1871), "Othello" (1887), die Komödie "Falstaff" (1893) und nicht zu vergessen das "Requiem" (1874).

Auch wenn Verdi in Wagner-Deutschland lange Zeit nur als Leierkastenmusiker angesehen wurde, ist er doch ein Revolutionär gewesen: Stück für Stück befreite er die überkommene Operntradition aus dem Korsett zusammenhangloser Nummern und leerer Koloraturen. Verdi verfeinerte den Ausdruck jeder Arie, weitete Einzelstücke zu ganzen Szenen, legte höchs-ten Wert auf dramatische Stringenz und ein enges Verhältnis von Text und Musik.

Einzigartig zeichnet er Personen, führt Massen auf der Bühne. Leider fand er erst am Ende seines Lebens mit Arrigo Boito einen geistig ebenbürtigen Librettisten. Seine letzte Oper "Falstaff" ist ein durchkomponiertes, harmonisch hochkomplexes Werk ohne Einzelnummern. Damit waren Wagner und Verdi unabhängig voneinander zu ähnlichen Schlüssen gelangt.

Die große Verdi-Zeit in Deutschland begann in der Weimarer Republik, angefacht durch Franz Werfels "Verdi"-Roman und legendäre Aufführungen in der Semperoper. Heute dürfte Verdi neben Mozart der am meisten aufgeführte Komponist an deutschen Opernhäusern sein. Gesungen wird inzwischen überall italienisch, sieht man einmal von Experimenten wie vor einigen Jahren am Dessauer Theater ab, als Intendant Johannes Felsenstein die von Verdi vertonten Schiller-Stoffe mit originalem deutschem Text unterlegen ließ.

Wie auch immer nun in diesem Jahr die Gegenüberstellung mit Wagner ausgehen wird - die Dirigentenlegende Arturo Toscanini hat zum Doppeljubiläum längst den passendenden Kommentar geliefert: "Wären Tristan und Isolde italienischer Herkunft, hätten sie am Ende des zweiten Aktes sieben Kinder. Aber sie sind Deutsche, also diskutieren sie noch."