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Die Farbe Rot Die Farbe Rot: Jörg Immendorff inszeniert große Werkschau in Berlin

22.09.2005, 18:07
Der Maler Jörg Immendorff zeigt sich am Donnerstag (22.09.2005) in der Neuen Nationalgalerie in Berlin mit seiner Frau Oda vor einem seiner Bilder (2005, ohne Titel). (Foto: dpa)
Der Maler Jörg Immendorff zeigt sich am Donnerstag (22.09.2005) in der Neuen Nationalgalerie in Berlin mit seiner Frau Oda vor einem seiner Bilder (2005, ohne Titel). (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Gesellschaftskritiker, Selbstdarsteller, Provokateur: Der Maler Jörg Immendorff gilt als einer der bedeutendendeutschen Gegenwartskünstler. Mit grobem Strich, grellen Farben undlautstarker Botschaft hat er das Geschehen der vergangenen Jahrzehntebeobachtet, in politischen Bildern wie der Serie «Café Deutschland»zugespitzt und auf den «Aufstand der werktätigen Massen» gehofft.Eine Werkschau, vom 60-Jährigen selbst als knallig-buntesKunstspektakel inszeniert, wird von diesem Freitag an (bis 22.Januar) in Berlins Neuer Nationalgalerie gezeigt.

«Das ist Proviant für meinen weiteren Weg», sagte Immendorff amDonnerstag vor der Eröffnung mit Bundeskanzler Gerhard Schröder(SPD), den er als «großen Kunstliebhaber» würdigte. «Wie rote undweiße Blutkörperchen» sollen die Besucher nach Wunsch des Malers übereinen Teppichläufer spazieren, der sich wie Arterien um ein Herzzwischen den sechs Ausstellungskammern windet.

Der Künstler, der wegen der unheilbaren Nervenkrankheit ALS(Amyotrophe Lateralsklerose) inzwischen weder gehen noch malen kann,hatte die Nationalgalerie gedrängt, die Werkschau bald zu zeigen -und nicht wie zunächst geplant zu seinem 65. Geburtstag im Jahr 2010.Und so blickt der Maler vom Rollstuhl aus auf sein Lebenswerk, suchtnoch immer das «Bild hinter dem Bild», erinnert sich, wie er als Kindseine Suppe schnell auslöffelte, um am Tellerboden Zeichen undGestalten zu entdecken.

«Male Lago - Unsichtbarer Beitrag» hat Immendorff die Ausstellunggenannt. Der erste Namensteil bezieht sich auf einen Western vonClint Eastwood. Darin zwingt der Held als Rache für seinen ermordetenBruder die Bewohner eines Wüstendorfs, ihre Häuser rot anzumalen. Inrot ist auch die Ausstellung getaucht. Und wie ein roter Fadendurchzieht auch das Verhältnis zwischen Kunst und Politik ImmendorffsSchaffen.

Schon in seinen frühen Jahren zweifelte der Schüler von JosephBeuys an der Wirkung von Kunst. Doch er ließ damals nicht davon ab,in Agitprop-Gemälden zur «Revolution» aufzurufen. ChinesischeRotgardisten marschieren in seinem Gemälden Hand in Hand mitrevoltierenden Studenten zwischen den Barrikaden.

Doch bereits 1977 prangerte der in Düsseldorf lebende Immendorffin seinem deutsch-deutschen Sittengemälde «Grenze» das DDR-Regime alsbrutale Diktatur an, versäumte es nicht im gleichen Bild gegen denBau von Atomkraftwerken «in Brokdorf und anderswo» zu protestieren,während ein junger Mann mit einer Spitzhacke die Mauer zertrümmert.Mehrere Räume der Berliner Schau zeigen Werke dieser Phase zwischen1968 und 1980. Damals war Immendorff noch Kunstlehrer und rief dieSchüler zum Widerstand gegen die Verhältnisse auf.

Seit 1977 entstanden die berühmten Serien «Café Deutschland» und«Cafe Flore», später auch das gigantische Wandbild «Gyntiana» -grell-düstere Gegenwartswelten, in der sich Protagonisten aus Kunstund Politik auf Barhockern räkeln: Heiner Müller und Jean-PaulSartre, Beuys und Rudi Dutschke träumen von der Revolution. «DieHässlichkeit der Bilder ist eine Schutzvorkehrung, damit man nichtgemütlich wird», erklärt Immendorff seine plakativen Bildcollagen.

Stark bleibt die Bildersprache auch seit den neunziger Jahren.Immendorff verabschiedet sich damals von der Proletkult-Ästhetik undwird jenseits der Kunstszene als Partylöwe bekannt. Mit Drogen- undSexausschweifungen macht er Schlagzeilen. Heute ist der von seinerKrankheit gezeichnete Künstler auf Hilfe angewiesen, wenn er malenwill. Es entstehen ruhige, bedächtige Szenen, in der er vom Rollstuhlaus auf die Vergangenheit blickt und wie in seinem der jüngstenWerke, sich zwei Blinde durch eine Traumlandschaft tasten.