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"Die 3Highligen" "Die 3Highligen": Ost-Rock mit André Herzberg Dirk Michaelis und Dirk Zöllner

Von mathias schulze 17.01.2018, 09:00
Leipzig reißt es von den Stühlen: André Herzberg, Dirk Michaelis und Dirk Zöllner (v.l.) im Konzert
Leipzig reißt es von den Stühlen: André Herzberg, Dirk Michaelis und Dirk Zöllner (v.l.) im Konzert Axel Lorenz

leipzig - Schon der erste Song - Zöllner (55), Herzberg (62) und Michaelis (56) kommen mit einem trashig blinkenden Heiligenschein aus Plastik auf die Bühne - öffnet die Herzen: „In Ehrlichkeit und Ewigkeit / Amen / Doch wen interessiert das schon? / Wir legen uns unsere kleine Wahrheit zurecht / Grade so, wie wir es brauchen / Alles nur / Heiligenschein aus Phosphor.“

Willkommen zur Feier des Nihilismus? Willkommen zum Eingeständnis, dass alles, auch ein gutes Gewissen, eine Frage des Geldes ist? Eins ist gewiss: Willkommen zum Jubiläum der „3Highligen“, veranstaltet vom Leipziger Klubhaus „Der Anker“. Vor 25 Jahren rauften sich die „Alphatiere“, so bezeichnen sie sich selbst, zu einer gemeinsamen Tour zusammen.

Das war 1993, ihr Publikum war gerade dabei, per Reisefreiheit die Rolling Stones zu besuchen. Schwierige Zeiten für Deutschrocker also, die seit ihrer Geburt vom antifaschistischen Schutzwall eingeschnürt waren. Und heute? Wer legt sich gegenwärtig welche kleinen Wahrheiten zurecht?

Bunte Mischung quer durch alle Schaffensperioden von „Karussell“, „Die Zöllner“ und „Pankow“

Die gut 320 Besucher in der Kongresshalle Leipzig sicherlich, jene, für die sich solch ein Konzert - eine bunte Mischung quer durch alle Schaffensperioden von „Karussell“, „Die Zöllner“ und „Pankow“ - den Einsatz des eigenen schnöden Mammons lohnt. Und die Künstler selbst?

André Herzberg leitet den Song „Vor dem letzten Knall“ so ein: „Ich sah damals eine Live-Reportage vom Irak-Krieg und habe mich gefürchtet.“ Die „3Highligen“ in ihren schwarzen Anzügen sind gekommen, um zu beichten, sie wollen erzählen von den Niederlagen und Triumphen. Wahrheitsfindung im musikalischen Gespräch mit den alten Weggefährten.

Das funktioniert melancholisch, bewegend, widerspenstig, kraftvoll und poetisch konkret. So werden im rot-gelben Bühnenlicht Brücken zur eigenen Identität geschlagen. Die Songs „Halt nicht an“, „Sand“, „Gott in Not“ und „In Ewigkeit“ legen Zeugnis ab vom einzigen Halt, der in zwei verschiedenen Wirtschaftssystemen zu finden war: Das Gegenüber, der andere Mensch. Wechselspiele: Mal spielt Herzberg Klavier, mal Michaelis. Und die Gitarren beherrschen sie alle sowieso. Auch das Vertrauen darauf, dass keine Gedanken und Gefühle den anderen Seelen fremd sind, kann als eine spirituelle Erfahrung angesehen werden.

Immer spielt Zöllner, mal im Fokus, mal begleitend, seine Gitarre so, wie er auch singt: kraftvoll

Mal greift Michaelis zur Mundharmonika, mal Herzberg. Immer spielt Zöllner, mal im Fokus, mal begleitend, seine Gitarre so, wie er auch singt: kraftvoll. Tobias Hilligs grandiose E-Gitarrensoli nicht zu vergessen. Das gemeinsame Musizieren ist wohl die einzige Kollektiverfahrung, die die drei Individualisten bedingungslos akzeptieren. Im Song „Nach vorn“ geht es der Herdentier-Mentalität an den Kragen. Herzberg erzählt vom rasanten Fortschritt, von der Unsicherheit darüber, was man festhalten sollte und was nicht.

Derweil lockern Blues-, Soul- und Country-Einflüsse den rockigen Klangteppich. Und wie soll man mit der Welt umgehen? Fährt man mit einem allzu häufigen Rückspiegelblick zügig gegen eine Wand? Zöllner schlägt mit dem rasanten Song „Benzin“ eine Möglichkeit vor: Solange der Tank voll ist, stellt man sich der Geschwindigkeit. So erhebt sich auch das sitzende Publikum, in den ganz und gar nicht scheinheiligen Gedankenaustausch der drei Künstler ist es schon längst innigst einbezogen.

Der Song „Korrekt, korrekt“ fragt nach der gesellschaftlichen Zusammengehörigkeit, „Keiner wird dich lieben“ leitet einen fulminant-intensiven Schlussteil ein. Maximale Intensität, Gänsehaut. Nun weht der Wind der Geschichte, nun kommen diese Lieder, die zum Soundtrack des Lebens taugen.

Während Michaelis den Klassiker „Als ich fortging“ spielt, flüstert das Publikum beherzt leise mit. Zöllner wird zum Masseur, der den geschundenen Nacken seines Kollegen begutachtet, Michaelis scherzend: „Oh, betreutes Musizieren.“ Nach Zöllners „Käfer auf’m Blatt“ versichert sich Herzberg mit „Langeweile“ noch einmal seiner Unsterblichkeit: „Das selbe Land zu lange geseh’n / Die selbe Sprache zu lange gehört / Zu lange gehofft / Zu lange gewartet / Zu lange die alten Männer verehrt / Ich bin rumgerannt / Zu viel rumgerannt / Zu viel rumgerannt / Es ist doch nichts passiert.“

Das Lied „Wetten, du willst“ entlässt beseelt in die Nacht, draußen findet man so eine kleine Wahrheit, die man gerade jetzt braucht: Es gibt Lieder, die sind unverwüstlich und von bleibender Kraft. Es gibt Lieder, die die Zeiten überdauern werden.

Die „3Highligen“: am 20. und 21. Januar um jeweils 20 Uhr in der „Grünen Zitadelle“, Magdeburg (mz)