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Dexys Midnight Runners Dexys Midnight Runners: Die Seele in der Kehle

Von Steffen Könau 15.06.2012, 18:13

Halle (Saale)/MZ. - Vor ziemlich genau 30 Jahren erinnerte Kevin Rowland an eine Mischung aus Straßenräuber und Huckleberry Finn. Mit hochgerollten Hosen und ohne Socken, auf dem Kopf eine Ballonmütze, saß der Chef der Band Dexys Midnight Runners vor einem Lattenzaun, schüchtern und grübelnd zu Boden blickend.

Dabei hatte der 29-Jährige aus dem englischen Wolverhampton dazu gar keinen Grund. Rowland, lockenmähniger Sohn irischer Eltern, stand mit "Come ob Eileen" zum ersten Mal an der Spitze aller Hitparaden. Das Video, das die vielköpfige Gruppe als wilden Haufen durchgedrehter Straßenmusikanten zeigte, lief bei MTV hoch und runter. Die "Celtic-Soul-Brothers", wie sie sich selbst nannten, waren auf dem Weg, ein weltweiter Markenartikel zu werden.

Aber Rowland war eben anders als alle. Unfähig zum Triumph, gefangen im Zweifel, verurteilt zum Scheitern. Er führte ein beinhartes Regiment in seiner Band, schmiss alle raus, die seinen Anweisungen nicht gehorchten - und sei es, dass sie sich nur weigerten, mit ihm Fitnessläufe durchführen. Nur einen großen Hit namens "Jackie Wilson said" später bog seine inzwischen schwer zerstrittene Band in die Zielgerade einer kurzen Karriere. "Don't stand me down" hieß das dritte und letzte Album der einzigen Soul-Punk-Formation der Welt. Es kam nicht einmal mehr in die Nähe der Hitparaden.

27 Jahre danach aber ist Kevin Rowland nun doch wieder da. Den Namen seiner Gruppe hat er auf "Dexys" verkürzt, den ursprünglichen Sound der frühen Jahre aber penibel rekonstruiert. "One day I'm going to soar" (BMG) unterscheidet sich fundamental von den beiden völlig verunglückten Alben, die der störrische Sonderling im Verlaufe einer durchweg desaströsen Solo-Karriere zusammengeschraubt hatte. Erschreckten "The Wanderer" und "My Beauty" alte Fans noch mit bizarren Coverversionen, die Rowland zum Teil in Frauenkleider gewandet und mit Federboa geschmückt in seltsame Tonarten transponierte hattee, kehrt der mittlerweile 58-Jährige mit dem vierten richtigen Dexys-Album nicht nur zurück zu seinen alten Kollegen Jim Paterson, Mick Talbot und Pete Williams, sondern auch zu den alten Soul-Tugenden.

Schmissig geht es hier zu, vielschichtig und dynamisch. Ist der Opener "Now" noch eine leise Predigt zu Klavier und Backround-Geraune, zieht das Tempo über "Lost" und "Me" allmählich an, bis es mit "I'm always going to love you" geradezu offensiv knackig wird.

Drei Jahrzehnte wie kein einziger Tag, dieser Sound kann offenbar keinen Staub ansetzen. Rowland hat immer noch die Seele in der Kehle, er tanzt souverän im Reigen von Bläsern und Streichern, er flüstert und ningelt, gibt den Crooner, den Marvin Gaye und den Bänkelsänger. Mick Talbot, zwischendurch bei Paul Wellers Style Council, hat seinem ersten Chef Arrangements geschrieben, die von Tempo- und Tonartwechseln leben. Der revanchiert sich mit Texten, die von ihm selbst handeln, wie er auszog auf der Suche nach den "Young Soul Rebels" (Albumtitel). Und doch nur Drogen, Obdachlosigkeit und das Gefühl fand, ständig missverstanden zu werden.

Ich habe ja doch immer recht gehab, mag der Kauz heute denken, wo sein seinerzeit verlachtes Zwölf-Minuten-Stück "This is what she's like" als Meisterwerk gerühmt wird. Mit "It's o.k., John Joe" gestattet er sich diesmal am Schluss dennoch nur eine achtminütige Abrechnung mit sich selbst und der Welt. "Ist da ein neues Leben am Ende der Reise", knödelt er inmitten zerfließender Violinen, "ich hoffe, es ist so". Vielleicht aber ist die Reise ja noch gar nicht zu Ende. Sondern fängt eben neu an.