Deutsches Nationaltheater Weimar Deutsches Nationaltheater Weimar: Am Ende wird das Nichts doch noch besiegt

Weimar/MZ. - Am Schluss, als die versprochene Unendlichkeit dann doch zu überraschend schnellem Ende gefunden hatte und der stürmische Applaus mit einigen enthusiastischen Bravi gemischt wurde, zog der Dirigent den Hauptdarsteller zur Verbeugung an die Rampe. Als er dessen Kopf aber euphorisch in seine Armbeuge klemmte, um ihn nach unten zu drücken, wirkte das für Sekunden wie eine Schulhof-Rangelei - und reichte jenen Schwitzkasten nach, auf den man zuvor vergeblich gewartet hatte.
Seinen Erfolg nämlich verdankt Michael Endes Klassiker "Die unendliche Geschichte" der Umklammerung, die das Buch auf seinen Leser ausüben kann: Wer die Abenteuer-Lektüre des Bastian Balthasar Bux richtig versteht, wird auch den Sprung an seine Stelle wagen - und selbst vom Dachboden nach Phantásien reisen. Dass sich dieser offene, von keiner Illustration beengte Gestus jeder konkreten Abbildung verweigert, hatte der Autor bereits bei der Verfilmung in den 80er Jahren erfahren müssen. Warum er Siegfried Matthus dennoch die Einwilligung zu einer Opern-Fassung gab, bleibt nach Endes Tod ein Rätsel. Einen wirklichen Gefallen hat er jedenfalls weder dem versierten Musik-Theatraliker noch dem Weimarer Nationaltheater getan, das jetzt parallel zur Trierer Premiere die Uraufführung wagte.
Dabei gibt Matthus sein Bestes: Im Spannungsfeld zwischen reinem Klang und gesprochenem Wort errichtet er ein Zwischenreich des Gesangs, in dem Musik den Text phantasievoll überhöht. Wenn Bastian mit der Sonnenbrille auch seinen Schutz gegen die Bedrohungen aus der äußeren Welt abgelegt hat, übernimmt das aus dem Schweigen anschwellende und opulent besetzte Orchester die Regie. Doch bereits im Lamento der phantásischen Völkerstämme wird deutlich, dass auch dieser Apparat Endes Zumutung nicht gewachsen ist.
Denn während im Graben Farben gemischt werden, die sich im Kopf zu eigener Ansicht ordnen sollen, verlangt die Bühne nach Bild und Kostüm. Und damit wird die Utopie zum Schnittmusterbogen: Wo der Komponist klapperndes Schlagwerk mit einer Kopfstimme mischt, materialisiert sich ein Irrlicht mit Blinknase. Wo er Sturmgewalten aus allen Himmelsrichtungen beschwört, stapft ein Männerquartett mit musikalischen Requisiten im Kreis. Und wo er eine fahle Melodie durch das Orchester hetzt, trabt ein kahlköpfiger Werwolf vorbei.
Optisch ist das feinstes Handwerk und verdankt sich vor allem der Ausstattung von Kathrin Brose, Corinna Gassauer und Martina Feldmann. Dass Michael Schulz als Clou der Inszenierung jedoch einen Jenoptik-Laser präsentiert, der Szenentitel und die abstrakte Bedrohung durch "Das Nichts" zwischen Buchmalereien schreibt, zeigt die Hilflosigkeit des Theaters - und seine Verführbarkeit. Denn als das Gerät den Namen seines Herstellers auf den fallenden Vorhang malt, ist dieser Preis höher als die erbrachte Leistung.
Die liegt letztlich - ganz konservativ - bei einem Ensemble, das auch auf Knien oder Plateauschuhen immer die Augenhöhe zur kunstvoll komplexen Partitur wahrt. Unter Leitung von Jac van Steen halten Staatskapelle, Solisten und Opernchor selbst dann zusammen, wenn Matthus sie geschickt gegeneinander ausspielt - oder wenn er in der anrührendsten Szene mit dem bewusst kunstlosen Lied des Grenzgängers Bastian auch die schöpferische Kraft des Gesangs behauptet. So wird - nach einer waghalsigen dramaturgischen Demaskierung der Kindlichen Kaiserin - am Ende doch noch das Nichts besiegt. Und das ist ja immerhin Etwas.
Nächste Vorstellung in Weimar: 17. April, 19 Uhr