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Deutsche Einheit Deutsche Einheit: Einigungsvertrag besiegelte DDR-Ende

Von Joachim Schucht 25.08.2010, 12:31
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l) und DDR-Staatssekretär Günther Krause bei der Unterzeichnung der Urkunden zum Einigungsvertrag am 31. August 1990. (ARCHIVFOTO: DPA)
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l) und DDR-Staatssekretär Günther Krause bei der Unterzeichnung der Urkunden zum Einigungsvertrag am 31. August 1990. (ARCHIVFOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - Die goldenen Füllfedern der Marke «Markant» kamenaus der DDR, das Papier stammte aus Bonn. Um 13.15 Uhr am 31. August1990 unterzeichneten die Verhandlungsführer der beiden deutschenStaaten, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Staatssekretär Günther Krause, im Kronprinzenpalais Unterden Linden den Vertrag, der samt Anlagen auf mehr als 1000 Seiten dieVereinigung bis ins Detail regelte. Nach der bereits in Kraftgetretenen Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion war damit dieentscheidende Voraussetzung für den Beitritt der DDR zurBundesrepublik am 3. Oktober 1990 geschaffen.

Am Berliner Molkenmarkt, dem Amtssitz von DDR-MinisterpräsidentLothar de Maizière (CDU), hatten Anfang Juli die Verhandlungen zu demAbkommen «über die Herstellung der Einheit Deutschlands» begonnen.Fast zwei Monate feilten die Delegationen an dem schließlich auf 45Artikel und neun Kapitel angewachsenen Werk, mit dem das gesamterechtliche und soziale System der Alt-Bundesrepublik aufOstdeutschland übertragen wurde.

Bis in die Nacht vor der Unterzeichnung wurde noch umFormulierungen gerungen. Hauptstreitpunkte waren dieAbtreibungsregelung und die Behandlung der Stasi-Akten. Um 2.14 Uhrwurde das Abkommen im Bonner Innenministerium paraphiert. «Es wargeschafft», notierte Schäuble in seinem Tagebuch. «Wir tranken nochein Glas Sekt und gingen übermüdet ins Bett.»

Um die Zeremonie in Ost-Berlin gab es intern einiges Gezerre. VonDDR-Seite kam der Wunsch, beide Regierungschefs sollten das Abkommenunterzeichnen. «Helmut Kohl hatte dazu wenig Neigung», erinnerte sichSchäuble. Der Bundeskanzler blieb der feierlichen Unterzeichnungfern. Dafür ergriff de Maizière das Wort. «Auch nach demEinigungsvertrag werden sich nicht sofort alle Blütenträumeverwirklichen. Aber wir sind auf dem richtigen Weg», zeigte sich dererste und letzte demokratisch gewählte DDR-Ministerpräsidentüberzeugt.

Drei Wochen später, am 20. September, billigten beide Parlamentemit überwältigender Mehrheit den Vertrag, dessen Originale heute imArchiv des Auswärtigen Amtes ausgestellt sind. In der Volkskammerstimmten 299 der 380 anwesenden Abgeordneten dafür und 80 dagegen. ImBundestag votierten 442 für den Vertrag, 47 Parlamentarier, darunterder größte Teil der Grünen-Fraktion, stimmten mit Nein. Etwa 70Abgeordnete der Unionsparteien machten aus unterschiedlichen Gründenin persönlichen Erklärungen Vorbehalte geltend.

Zum Auftakt der achtstündigen Debatte erklärte Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP), das geeinte Deutschland habe zwar nun mehrGewicht in Europa. Dies dürfe aber auf keinen Fall auf eine«Großmachtrolle» hinauslaufen. Der damalige SPD-Kanzlerkandidat OskarLafontaine stimmte Genscher grundsätzlich zu, forderte aberstaatliche Beschäftigungsprogramme und die Sicherung vonIndustriestandorten.

Einen Tag später billigte auch der Bundesrat den Vertrag,allerdings erst nach kontroverser Aussprache. Umstritten war dieFinanzierung der Einheit. Schäuble lehnte ausdrücklichSteuererhöhungen ab, was sich aber bald schon als verfrühtherausstellte. Offener Widerspruch kam von sozialdemokratischenRegierungschefs, die warnten, die Einheit sei nicht zum «Nulltarif»zu haben.

Auch 20 Jahre später bleibt für damalige Akteure wie Lothar deMaizière der Einigungsvertrag «nach wie vor ein Meisterwerk». Dabeiberücksichtigt werden müssten die damaligen Umstände, vor allem derungeheure Zeitdruck, unter dem alle standen. Schäuble sprach inironischem Unterton von einem «Werk deutscher Perfektion». DieUmsetzung stieß zunehmend auf Probleme, nachdem die Koalition vonUnion und FDP 1991 ihre Mehrheit im Bundesrat verloren hatte.

Renommierte Beobachter des Einigungsprozesses halten es imNachhinein für einen gravierenden Fehler, dass die demokratischgewählten Gremien bei den Verhandlungen und Entscheidungen kaumbeteiligt wurden. Eine von der «Politik abgekoppelte, effizientarbeitende Ministerialbürokratie» habe damals in kleinen Runden undKommissionen das bundesdeutsche Sozialsystem und die anderenRegelungen in den neuen Ländern installiert, schreibt der Nestor derdeutschen Sozialgeschichte, Prof. Gerhard Ritter, in seinemStandardwerk «Der Preis der Einheit». Diese «abgehobeneVereinigungspolitik» sei mit dem Verlust an Vertrauen und Ansehen beider Bevölkerung bezahlt worden.

Nach Überzeugung Ritters und anderer Zeithistoriker wurde derWirtschaftsstandort Deutschland durch die im Einigungsvertragfestgelegte immense Umverteilungspolitik nachhaltig geschwächt, weildie soziale Abfederung der Einheit vor allem durch Mittel derSozialversicherungssysteme anstatt durch Steuern finanziert wurde.Damit einher gegangen sei eine immer höhere Staatsverschuldung unddie erhebliche Steigerung der Lohnnebenkosten. Zu den langfristigenNegativ-Folgen gehöre auch, dass die massenhafte Frühverrentung nachdem rapiden Anstieg der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland dieRentenkassen geleert hätten.

Auch 20 Jahre nach dem Abkommen gibt es keine offiziellen Zahlenzu den Gesamtkosten der hauptsächlich über hochrentierlicheStaatsanleihen sowie über die Sozialsysteme finanzierte Einheit. DieBundesregierung verweigert dazu mit Hinweis auf die komplexe Materiegenauere Angaben. Es gibt nur Schätzungen von Wirtschaftsexperten.Ein Gutachten der Freien Universität Berlin errechnete im vergangenenJahr die bisherigen Netto-Ausgaben auf 1,6 Billionen Euro, wobei derLöwenanteil auf den Transfer von Sozialleistungen entfiel.

Spätestens seit dem Einigungsvertrag haben sich die Bürger ohnehinan den großzügigen Umgang mit Milliardenbeträgen gewöhnt. 1990bezifferte der damalige Treuhandchef Detlev Rohwedder in seinerEröffnungsbilanz das DDR-Volksvermögen auf 600 Milliarden DM. Nachvier Jahren der Privatisierung stellte sich, gut versteckt imErblastentilgungsfonds, ein Fehlbetrag von 270 Milliarden DM heraus.Rechnet man diese Differenz in Euro um, so kommt man in etwa auf die440 Milliarden des kürzlich beschlossenen EU-Rettungsschirms fürGriechenland.