Dessau-Wörlitzer Gartenreich Dessau-Wörlitzer Gartenreich: Tempel des guten Fürsten

wörlitz - Herbstlich dunkelgrün schimmert der Wörlitzer See, in Gondeln nähert sich eine gelehrte Gesellschaft dem Gotischen Haus. Man hat am Wochenende darüber neue, kluge Thesen debattiert. Das exzentrische Bauwerk empfängt die Schar mit dem Geruch von Abgelebtheit.
Eingenistet unter Schichten von Farbe und abgewetzten Dielen scheint noch die öffentliche Privatheit des Fürsten Franz fortzudauern, der Besucher durch sein außereheliches Refugium entweder selbst führte oder auf ausdrückliche Erlaubnis einließ.
Die aber „so schwer nicht zu erhalten“ war, wie der Wörlitz-Reisende Carl August Boettiger 1797 notierte. Der dann in einer ausführlichen Schilderung der Zimmer zumindest ein tieferes Anliegen der Ausstattung erkennt: „Du wandelst hier in lauter Denkmälern altteutscher Vergangenheit!“, wo „nichts transalpinisches“, nur „teutsche, nordische Art und Kunst“ zu sehen war. Und wohl mochte er staunen, denn des Fürsten Sammlung war einzigartig in neoklassischer Zeit, die Vorwegnahme kommender Sehnsüchte der Romantik.
Ort der Cranach-Rezeption
Für die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz bietet das bevorstehende Cranach-Jahr den Anlass, daran zu erinnern. Zwar geht es 2015 um die 500. Wiederkehr des Geburtstags von Lucas Cranach dem Jüngeren, der in Wittenberg mit der erklärtermaßen ersten Werkschau gefeiert werden soll, doch für die Allgemeinheit ist Cranach der universelle Begriff einer Malerschule.
Die Stiftung sieht die Gelegenheit gekommen, das „Gotische Haus“ als einen Ort der „Cranach-Rezeption“ in Erinnerung zu rufen. Die vielleicht eigensinnigste Schöpfung im Gartenreich des Fürsten Franz barg mit 18 Cranach-Werken eine bedeutende Sammlung, eingebettet in eine der sonderbarsten fürstlichen Selbst-Inszenierungen, die es je gab.
Die Tagung im Festsaal des aufgeblühten „Eichenkranz“ kann angesichts der langen Tradition der Gartenreich-Forschung auch am weitgespannten politischen und kulturellen Horizont des Gotischen Hauses nur einige Nuancen neu in den Blick nehmen.
Verspielte Pseudo-Gotik
Zum Beispiel von englischen Vorbildern, von denen der Fürst auf seinen Reisen 1763 und 1775 Schloss und Park von Stowe nachweislich und die pralinenschachtelartige Schöpfung „Strawberry Hill“, die Villa des Schöngeists und Politikers Horace Walpole, vermutlich besuchte.
Die in verspielter Pseudo-Gotik eingefasste Symbolik dieser Bauten und Gartenkreationen war vom „Freiheits“-Pathos der englischen Aristokratie durchtränkt. Die Experten aus England gingen noch einmal der Symbolsprache dieser Vorbilder nach. Als Architektur steht der „Temple of Liberty“ in Stowe dem Gotischen Haus erkennbar nah. Megan Aldrich verortete die „barbarische“, roh belassene Bauweise des Stowe-Tempels in den „Mittelalter“-Mythen des Parks, dessen Bildprogramm an lang vergangene „gute“ Herrscher erinnerte.
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Für Horace Walpole wiederum, so der Historiker Stephen Bann, war „Gotik“ Ausdruck von „modernem“ Denken, ausgehend von den Reformatoren. Der spleenige Umgang mit Versatzstücken aus gotischen Kathedralen und Klöstern findet sein Echo in Erdmannsdorffs Entwürfen für das Gotische Haus, aber auch als Schaukasten einer cisalpinen Kultur bot Stawberry Hill Anschauung, sei es in den Glasfenstern oder dem „Holbein Room“.
Die Wörlitzer Adaption dieser Vorbilder bekräftigt die protestantische Gesinnung auf ihre Weise. Franz’ Beleg für „vorbildliche“ Vergangenheiten ist die Glasmalerei aus der Schweiz, als Verweis auf den eidgenössischen Unabhängigkeitskampf.
Andreas Pecar, der der Dessau-Wörlitz-Kommission der Universität Halle angehört, beleuchtete Franz’ Anspruch auf eine Rolle als Reichsfürst von hoher Abkunft (Askanier) und dynastischer Tradition (Haus von Oranje). Im Gotischen Haus sei es ihm um die „Visualisierung eigener Geltungsansprüche“ gegangen.
Engagement für „Fürstenbund“
Michael Niedermeier sieht in Franz’ Engagement für den „Fürstenbund“ ein Ringen ums Überleben zwischen Preußen und Habsburg. Als „gute Fürsten“ wollten sie volksnah und wirtschaftsfreundlich sein, aber letzten Endes sei es ihnen um das Bewahren des Status quo gegangen.
Die Kulturstiftung will 2015 jene Hängung zumindest medial wiederherstellen, mit der Franz seinen Anspruch „gotisch“ in Szene setzte. In der Stiftung hat sich Reinhard Melzer jahrelang und noch im Ruhestand mit der Rekonstruktion des Bildprogramms befasst. Keine leichte Sache: Die Hängung ist schon in den 20er Jahren erheblich gestört und in den 30ern vollends durchlöchert worden, als die Hauptwerke – das heißt die Cranachs – an die Anhaltische Gemäldegalerie gingen, als Dauerleihgabe der Joachim-Ernst-Stiftung.
Spektakuläre Botschaft
Vieles ist verschollen, verschleppt, zerstört, und die Cranachs werden in Dessau bleiben. Doch was in Fotoarchiven greifbar ist, soll in 1:1-Repros wieder seinen Platz einnehmen. Man wird auch sehen, mit welchem Aufwand Franz Kopien von Meisterwerken für sein Panoptikum anfertigen ließ oder mindere Künstler für Holbein und andere „teutsche“ Maler ausgab.
Die spektakulärste Botschaft enthielt die Hängung im „Geistlichen Kabinett“, wo mit Cranachs „Fürstenaltar“ eines seiner Hauptwerke in eine Apotheose der Reformatoren eingeordnet war. Ihnen beigesellt sind ihre Beschützer, in Franz’ Augen die „guten“, die kleinen Fürsten. Anhalt, soll man verstehen, stand auf der richtigen Seite.
Das Gotische Haus ist zu Führungen geöffnet: Di bis Fr 11 und 16 Uhr, Sa und So 11, 12, 15 sowie 16 Uhr. Im Oktober nur Sa und So 11 und 16 Uhr, im Winter geschlossen. (mz)