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«Der Schneemann» «Der Schneemann»: Zur Kulturgeschichte eines Winterhelden

15.12.2005, 07:42
Marzipanschneemänner stehen in einer Vitrine des Kreismuseums Zons (undatiertes Handout). Die ganze Kulturgeschichte des wandelbaren Winterhelden, der heute nur noch als possierlich-kugeliger Geselle für alles Mögliche vom Sockenmotiv bis zum Christbaumschmuck vermarktet wird, ist bis 12. Februar im Museums Zons bei Dormagen (Rhein Kreis Neuss) ausgestellt. (Foto: dpa)
Marzipanschneemänner stehen in einer Vitrine des Kreismuseums Zons (undatiertes Handout). Die ganze Kulturgeschichte des wandelbaren Winterhelden, der heute nur noch als possierlich-kugeliger Geselle für alles Mögliche vom Sockenmotiv bis zum Christbaumschmuck vermarktet wird, ist bis 12. Februar im Museums Zons bei Dormagen (Rhein Kreis Neuss) ausgestellt. (Foto: dpa) dpa

Dormagen/Zons/dpa. - Starr glotzen seine Kohleaugen in dieSchneelandschaft, die Mundwinkel ziehen sich grimmig nach unten undmanchmal fletscht er sogar die Zähne: Kein Zweifel - früher war derSchneemann furchtbar. Die ganze Kulturgeschichte des wandelbarenWinterhelden, der heute nur noch als possierlich-kugeliger Gesellefür alles Mögliche vom Sockenmotiv bis zum Christbaumschmuckvermarktet wird, ist bis 12. Februar im Museum Zons bei Dormagen(Nordrhein-Westfalen) präsentiert.

Die mehr als 200 Exponate aus fast 250 Jahren vom Marzipan-Schneemann bis zur Buchillustration, von der politischen Karikaturbis zur Schneemann-Uhr, stammen aus drei umfangreichenPrivatsammlungen. Titel der Schau: «Der Schneemann - ZurKulturgeschichte eins Winterhelden»

Urplötzlich und aus dem Dunkel der Geschichte betritt er im Jahr1770 die Szene: Ein Kinderlieder-Buch aus Leipzig beschreibt den sosimpel aus Schnee zu formenden Kerl und benutzt erstmals das Wort«Schneemann» (...ey wie groß! ein riesenmäßiger Coloß»). In derFolgezeit erscheint er auf historischen Abbildungen - nochnaturalistisch mit Armen und Beinen - durchweg als garstige,bedrohliche Gestalt, so etwa in einem Kalender-Kupferstich des MonatsDezember von Daniel Chodowiecki (1726-1801). Schließlich war derWinter für fast alle Menschen noch hart, dunkel, voller Entbehrungenund Krankheiten. Was Wunder, dass der Schneemann, dazumal noch fernvom molligen Kugelkörper und kecker Rübennase, eher wie ein drohenderDämon exotischer Kulturen erscheint - so etwa auch abgebildet ineinem Schulbuch von 1849.

Mit dem Beginn des 20 Jahrhunderts wird der Schneemann plötzlich«menschlich», wird zum Spielkameraden der Kinder und - auf etlichenGrußpostkarten verewigt - zum duldsamen Ziel mancherSchneeballschlacht: Er lächelt stets gütig und reckt die Möhren-Naseneugierig in den Himmel. Auf dem Titel der Satire-Zeitschrift«Simplicissimus» schmilzt er allerdings 1904 als Symbol deszaristischen Russland unter der Sonne politischer Umtriebe dahin undposiert in Uniform auf Weltkriegs-Postkarten 1915 inmitten einerGruppe Infantristen.

Leider wird sein sonst schneeweißer und weltanschaulich wiereligiös neutraler Körper, unschätzbarer Werbevorteil gegenüberChristkind und Nikolaus, aber auch vom braunen Bazillus befallen. Einhistorisches Foto von 1939 zeigt eine Gruppe von HJ-Bengeln, dieeinen großen Schneemann mit krummer Nase und Judenstern in erkennbarbösartiger Absicht bauen.

Die Karriere des Schneemanns als Comic-Held im winterlichenEntenhausen oder als Werbeträger aller Branchen vom Hustenbonbon biszum winterharten Auto («...von führenden Schneemännern empfohlen!»)beginnt um 1950. Urplötzlich, vor allem auf winterlichen Gruß-Postkarten, entdeckt der Schneemann den Sex und hat eine bisweilenvollbusige Partnerin zur Seite.

Gegenwärtig hebt der Multifunktions-Schneemann in Stars-and-Stripes-Zylinder das patriotische Gefühl der US-Bürger, dient alsKerzenhalter und Salzstreuer oder ist gerade noch für alberne Scherz-Postkarten gut: «Nie mehr Urlaub unter Palmen» stöhnen zweiGestalten, von denen in tropischen Gefilden nur noch eineWasserlache, Kohlestückchen und Möhrennase übrig ist. Die radikaleWandlung vom garstig-kalten Mann zum kitschig-kuscheligenWintersymbol dokumentiert in der Museumsvitrine ein Plüsch-Bezug füreine Baby-Flasche in Schneemann-Gestalt: Ganz widersinnig soll hierder ehemals gefürchtete Mann aus der Eiseskälte die Milch für dielieben Kleinen wärmen.