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«Der moderate Funktionalist» «Der moderate Funktionalist»: Ein Bauhäusler in Buchenwald

Von Andreas Hillger 19.02.2008, 20:42

Dessau/MZ. - Ohne Schüler wie Franz Ehrlich aber, dem die Stiftung Bauhaus Dessau jetzt eine Ausstellung im einstigen Wohnhaus von Oskar Schlemmer widmet, wäre ihre Fortschreibung über ihr Ende hinaus undenkbar.

Leipzig und Bernburg

"Der moderate Funktionalist", als den ihn die Ausstellungsgestalter apostrophieren, wurde 1907 in Leipzig geboren und kam nach einer Lehre als Maschinenbauschlosser 1927 an das Bauhaus Dessau. Nach seinem Abschluss arbeitete er für Walter Gropius und Hans Poelzig in Berlin, 1933 machte er sich in seiner Geburtsstadt selbstständig - und ein Jahr später wurde er als bekennender Kommunist von den Nationalsozialisten wegen der "Vorbereitung zum Hochverrat" verurteilt. Nach KZ-Haft, Strafbataillon und Kriegsgefangenschaft kehrte Ehrlich 1946 in die Sowjetische Besatzungszone heim, arbeitete als Wiederaufbau-Referent in Dresden und als Architekt für verschiedene staatliche Stellen, darunter die Leipziger Messe und die Akademie der Wissenschaften. 1984 starb er in Bernburg.

Es ist dies ein exemplarisches und geradliniges Leben, das aus der Ablehnung eines radikalen Systems die Hinwendung zu dessen Gegenentwurf herleitet. Künstlerisch begründet es sich durch die frühen Bildexperimente, in der die "Geometrische Auflösung eines Kreises" erforscht oder eine "Komposition nach Schlemmer" erprobt wird. Die erschütterndsten Dokumente aber sind Zeichnungen in einem konservativen Duktus.

Als Häftling im Konzentrationslager Buchenwald wurde Franz Ehrlich, der auch hinter Stacheldraht seine politische Arbeit fortsetzte, der Bauleitung zugeteilt und musste Interieurs für die Führersiedlung der Wachmannschaften entwerfen. Ein Kamin mit Hakenkreuz-Intarsien, rustikale Holzmöbel und gusseiserne Geländer bezeugen das schreckliche Konzept einer altdeutschen Gemütlichkeit, mit dem sich die Nazis als Kontrast zu ihrem zynischen Tagwerk umgaben - ein malerisches Tiergehege mit Bärenburg inklusive.

Exakt 1 177 Variationen

Wer diese Zeugnisse einer Zwangsarbeit unter ästhetischer Selbstverleugnung gesehen hat, urteilt milder über Ehrlichs offenbar bedingungslose Treue zur DDR. Der Architekt, in dessen Nachlass sich Briefe von Ex-Bauhäuslern wie Hubert Hoffmann neben Fotos mit Walter Ulbricht finden lassen, versuchte dem Mangel der sozialistischen Wirtschaft mit Erfindungsreichtum zu begegnen. Als Chefgestalter der Werkstätten in Dresden-Hellerau entwickelte er die Möbelserie "602", deren 38 Teile in exakt 1 177 Variationen kombiniert werden konnten und die sich zur begehrten Bückware entwickelte.

Und während er in seinen Entwürfen für die Herz-Kreislauf-Klinik in Berlin-Buch eine gemäßigte Moderne fortschrieb, versuchte er sich als Theoretiker zugleich in der Erneuerung der von Ernst Neufert begründeten Normierungs-Tradition. Seine "Achseinheit", die auf einer Basis von sechs mal drei Metern den Raumbedarf aller menschlichen Tätigkeiten und Bedürfnisse festlegen sollte, konnte sich allerdings nie durchsetzen. Die Tragik dieses Lebens aber fasst ein surreales Bild. Darauf malte Franz Ehrlich einen riesigen Schlüssel - und eine winzige Tür, die man mit diesem monströsen Instrument nicht öffnen kann, ohne sie zu zerstören.

Ausstellung bis 9. März, Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr