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DDR-Witze DDR-Witze: «Gestern standen wir kurz vor dem Abgrund»

Von Antje Lauschner 15.09.2009, 10:18
Erich Mielke, Erich Honecker, Heinz Hoffmann und Kurt Hager zum 30. Jahrestag der DDR 1979. (Foto: WDR)
Erich Mielke, Erich Honecker, Heinz Hoffmann und Kurt Hager zum 30. Jahrestag der DDR 1979. (Foto: WDR) WDR

Erfurt/dpa. - Und selbst die Propaganda sorgte oft unfreiwillig für ein Stück Wahrhaftigkeit: «30 Jahre DDR - 30 Jahre Staatszirkus». In der DDR war das noch ein echter Schenkelklopfer, heute reicht es nur noch zum Schmunzeln, sagt der Historiker Eckhard Schörle. «Der Kontext ist wegund damit die konkrete Alltagssituation, in der gelacht wurde».Schörle stellte am Montagabend in Erfurt seine Forschung zum DDR-Witz vor.

Witze über Walter Ulbricht und Erich Honecker, über RadioJerewan, fehlende Möhren und den reaktionären Klassenfeind im Westen: Das Lachen über politische Witze in der DDR konnte von Ängsten befreien, Gemeinschaftsgefühl hervorrufen, sie waren Ventil und konnten Druck abbauen, ohne das System zu gefährden. Dessen waren sich die «Funktionäre mit Humorlosigkeit» mal mehr, mal weniger bewusst gewesen, betont Schörle.

Aber wer das System verlachte, war auch gefährlich. «Was ist ein08/15 Witz? Ein Witz, der in acht Sekunden erzählt ist und für den man dann 15 Jahre sitzen muss.» Die Gefahr für Witzeerzähler war zwar nicht so groß, sagt der Forscher, «aber sicher ist, dass sich jeder schon genau überlegt hat, wem und in welcher Situation er einen politischen Witz erzählt hat.» Nicht selten diente er auch dazu, das Gegenüber einzuschätzen: Zwei DDR-Grenzsoldaten stehen auf Posten und starren in Richtung BRD. «Woran denkst Du jetzt?», unterbricht dereine das Schweigen. «Daran, woran Du auch denkst.» «Dann muss ich dich jetzt verhaften!» Wer nicht mitlachte, war verdächtig.

Aber auch die SED-Führung nutzte den Witz für ihre Zwecke, etwa um den Westen oder die Solidarnosc-Bewegung in Polen lächerlich zu machen. «Kennen Sie den kürzesten Witz in Polen? - Zwei Polenarbeiten.» Damit sollte die antipolnische Stimmungen in derBevölkerung angeheizt werden.

Aber auch der Westen nutzte die Kraft der Pointe, um Stimmung inder DDR zu machen, erzählt der Historiker, der aus den altenBundesländern kommt. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen veröffentlichte Anfang der 1950er Jahre Heftchen mit Anti-SED-Witzen, später war es die illustrierte Satirezeitung «Tarantel», die bis kurz nach dem Mauerbau in Westberlin gedruckt und illegal im Osten verbreitet wurde.

Viele Witze geben jedoch wenig über Entstehungszeit und dieAlltagssituation preis, in der sie von Mund zu Mund gingen, bedauert Schörle. In Witz-Büchern und bei Befragungen von Zeitzeugen stößt er immer wieder auf Pointen, die vom Kaiserreich über Weimarer Republik bis zur DDR auf die jeweilige Situation umgedichtet wurden. Dazu zählt der Witz über den Fahrer von Walter Ulbricht, der ein Schweineiner LPG totgefahren hat. Er geht los, um sich zu entschuldigen und kommt nach Stunden mit Geschenken überladen zurück. Ulbricht wundert sich, und der Fahrer erklärt: «Ich hab gesagt, ich bin der Fahrer von Walter Ulbricht und habe das Schwein totgefahren.» Dieser Witzkursierte in der NS-Zeit schon über Adolf Hitler.

Im Lachen verwischten sich auch die Grenzen, meint der Historiker.Nicht selten haben sich die Menschen in Ost und West über dasselbeamüsiert - wenn auch aus anderen Gründen. «Gestern standen wir kurzvor dem Abgrund, heute sind wir schon ein Stück weiter.» In der DDRrichteten sich solche Sprüche gegen das politische System, im Westengegen die Umweltzerstörung. Überraschend einig war sich Ost und Westin der Beurteilung der Arbeitswelt. «Wir sind zu allem fähig, aber zunichts zu gebrauchen.»

In den Jahren vor dem Mauerfall wurden politische Witze schärfer.In dieser Zeit konnten die Erzähler von einer breiten Zustimmungausgehen. Und auch die SED-Führung war mit unfreiwilliger Komikwieder mit dabei. Als Staatssicherheitsminister Erich Mielke 1989 inder DDR-Volkskammer verkündete: «Ich liebe doch alle, alle Menschen»,sorgte er für einen Treppenwitz der Geschichte.