DDR-Liedermacher DDR-Liedermacher : Gefühle im Kühlschrank

Eine Schallplatte, auf die Gefängnis stand. Und die sich dennoch nicht verbieten ließ. „Für uns, die wir noch hoffen“ hatten der DDR-Liedermacher Gerulf Pannach, sein Renft-Kollege Christian Kunert und der mit beiden befreundete Dichter Jürgen Fuchs das Werk genannt, das im Herbst 1977 im Westen erschien. Einem Westen, der dem Trio aus Schkeuditz, Leipzig und Jena nie Heimat werden wird, ihnen aber nun erst einmal Zuflucht gibt: Neun Monate lang hatte die Staatssicherheit die drei vermeintlichen Systemfeinde zuvor inhaftiert. Schließlich kommt es nicht zum Prozess, sondern zur Ausbürgerung.
Es ist das letzte Kapitel einer Staatsaffäre, die so nur unter den Bedingungen des real verängstigten Sozialismus denkbar ist. Nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann hatten Pannach und Kunert wie Fuchs gegen diese staatliche Maßnahme jenseits des Völkerrechts protestiert - unter anderem, indem sie in einer Kirche in Leipzig-Dölitz geheime Aufnahmen von Liedern machten, die staatliche Kulturaufseher zuvor bereits zum Anlass genommen hatten, die erfolgreiche Rockband Renft zu verbieten.
Aber hier sind sie nun wieder, klingende Dokumente einer Zeit, die heute kaum noch vorstellbar scheint. Auf zwei CDs und einer DVD hat Bodo Strecke, Betreiber des Labels Marktkram, mit Unterstützung der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur eine erste wirklich umfangreiche Sammlung sämtlicher verfügbarer Materialen rund um Verbot und Vertreibung des Trios in den Westen vorgelegt.
„Für uns, die wir noch hoffen“ trägt denselben Titel wie die im Westen erschienene Langspielplatte, geht aber inhaltlich weit über diese hinaus. Statt nur eine Handvoll Prosatexte von Fuchs und einiger Lieder von Pannach und Kunert von einem illegalen Auftritt in Leipzig enthält das opulent gestaltete Dreifach-Album einen Mitschnitt der Pressekonferenz in West-Berlin, auf der Wolf Biermann gegen die Verhaftung seiner Freunde protestierte, dazu kommen die komplette Aufnahme des letzten, illegalen Konzertes in Leipzig, ein Mitschnitt des knapp ein Jahr später absolvierten ersten Konzertes im Westen und verschiedene Interviews und Fernsehausschnitte auf der DVD.
Geschichtsunterricht, der heute wirkt wie der Ausflug in eine völlig unverständliche Parallelwelt. Es war ja nicht so, dass Pannach, Fuchs und Kunert den Sozialismus abgelehnt hätten! Nein, alle drei verstanden sich als demokratische Sozialisten, als Linke, die das System mit ihren kritischen Gesängen keineswegs ändern, sondern es verbessern wollten.
So sangen sie denn auch keine Protestsongs gegen die Staatsspitze, sondern Protestsongs gegen die Verhältnisse, die diese Staatsspitze duldete. „Vom Vertrauensmann, der kein Vertrauen hat“, heißt eines, ein anderes ist der Geniestreich „Sonne wie ein Clown“, ein drittes die Hymne „Vom Rot, das brennt“ - die drei Männer, auf Bildern von damals studentenbewegte Typen mit Bärten, Nackenrolle und Cordjackett, suchen die großen Kämpfe im Kleinen, wollen eine menschliche Gesellschaft nicht als Ziel, sondern schon als Weg.
Das sind die Schlimmsten, die nicht nur an sich denken. Nicht zu kalkulieren, was sie tun, nicht zu kontrollieren, was sie sagen. Keine Parteilinie ist da reinzubringen. Künstlerisch sind Pannachs „Friedenslied“, der von Kunert komponierte Anti-Wehrdienstsong „Glaubensfragen“ oder auch das „Lied vom FDJ-Sekretär“ natürlich Leichtgewichte, verglichen mit dem ebenfalls enthaltenen Renft-Klassiker „Zwischen Liebe und Zorn“.
Zu wenig Zeit, zu viel Angst, zu viel Ungewissheit für große Kunst. Doch weil der Staat, in dem diese Lieder gesungen wurden, offenbar solche Angst vor ihnen hatte, lohnt es sich heute immer noch, sie anzuhören.
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