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DDR-Geschichte DDR-Geschichte: Das Buch zum Bestarbeiter Hennecke

Von Michael Klug 11.03.2011, 13:56

Oelsnitz/dapd. - Es wirkt wie eine Rechtfertigung, als Hannelore Graff-Hennecke vor den rund 200 Gästen im überfüllten Saal des Oelsnitzer Bergbaumuseums den Verbleib jener 100.000 DDR-Mark vorrechnet, die ihr Vater Adolf Hennecke im Jahr 1949 von der DDR-Führung erhielt. Als großzügiger Mann habe ihr Vater vielgespendet, etwa an einen Jugendklub, sagt Hennecke bei derVorstellung ihres Buches «Adolf Hennecke. Biografie einesBergmanns». Selbst Nachbarn und Bittsteller habe der Mann an jenem Geld teilhaben lassen, das er zusammen mit dem Nationalpreis 1. Klasse erhielt. Die eigene Familie hingegen sei nur bescheiden bedacht worden: «Wir Kinder bekamen ein Kleid und einen Wintermantel», sagt Graff-Hennecke.

Aufräumen mit Vorurteilen und Legenden ist der erste Eindruck,den die 70-jährige Berlinerin Hannelore Graff-Hennecke bei derVorstellung ihres Buches über den zu DDR-Zeiten als Arbeiterheldgefeierten Vater vermittelt. Und sie selbst bestreitet das auchnicht. «Es kursieren so viele Unwahrheiten über ihn, dass ich dieses Buch einfach schreiben musste», sagt die Autorin und zählt zunächst Anekdoten und deren wahre Geschichte auf über jenen Mann, der dieAktivisten-Bewegung der jungen DDR initiierte und anschließend zumNationalhelden stilisierte wurde. «Viele warfen meinem Vater damalsArroganz und Abgehobenheit vor. Unser neues Auto musste er sichdamals aber kaufen, weil man uns das alte angezündet hat.»

Hauptaugenmerk schenkt Graff-Hennecke in dem gemeinsam mit derJournalistin Helma Nehrlich verfassten, 288 Seiten dicken und mitFotografien illustrierten Buch jenen Ereignissen um den 13. Oktober1948, als der Bergarbeiter Adolf Hennecke (1905-1975) fast zufälligfür die Erstellung einer neuen Norm ausgewählt wurde undanschließend in das Räderwerk der DDR-Propaganda geriet. Fastminutiös hat die ehemalige Lehrerin dokumentiert, wie ihr Vater, einhagerer Mann aus Westfalen, in einer gut vorbereiteten Schicht fast25 Kubikmeter Kohle aus dem Karl-Liebknecht-Stollen imerzgebirgischen Revier Lugau-Oelsnitz brach und die bis dahingeltende Tagesnorm um 387 Prozent überbot.

Zwtl: Er fühlte sich unwohl

Zugleich lässt sie mit persönlichen Einblicken in das Privatlebender Familie erahnen, wie sich ihr Vater anschließend nebenRaumfahrer Sigmund Jähn als Held des aufstrebenden Sozialismusgefühlt haben muss. Es habe schon seiner Natur widersprochen, mitSekretär und Adjutant im Land vorgeführt zu werden, sagtGraff-Hennecke. «Er war ohnehin gesundheitlich angeschlagen, fühltesich unwohl, gänzlich abgekoppelt von der Basis.» Vor allem aberhabe ihr Vater, ein warmherziger, hemdsärmeliger Mann, daruntergelitten, von «seinen Kumpels gemieden zu werden».

Im Detail unterlässt es Graff-Hennecke allerdings, ein genauesPsychogramm jenes Mannes abzuliefern, der als unfreiwilligerArbeiterheld zeitweise mit Morddrohung leben musste und in der«Westpresse» als «Russenknecht» beschimpft wurde. Allerdings lassensich die Kräfte während der Vorstellung des Buches mehr als einhalbes Jahrhundert ein Stück weit erahnen. So unterbricht etwa einalter Mann die Autorin mit dem hitzigen Vorwurf, ihr Vater sei derProtagonist eines gigantischen Betrug gewesen. Ein andererOelsnitzer, damals als 17-jähriger an der Seite Henneckes imSchacht, bezeichnet den Bergmann heute noch als «sein großesVorbild».

Die heute 70-jährige ehemalige Lehrerin nimmt nicht Partei.Reflektiert und mit wertfreier Distanz spricht sie von ihrem Vaterals einem überzeugten Anhänger der sozialistischen Idee, der «stetsden politischen und organisatorischen Gestaltungswillen der Partei»akzeptierte und «niemals die Parteidisziplin verletzte».

Gleichwohl fordert sie mit dem Buch den Stellenwert ein, denHennecke aus ihrer Sicht verdient hat. «Er ist eine Person derZeitgeschichte und muss so behandelt werden» sagt Graff-Hennecke.