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Gudrun Hensling DDR-Fernsehen: Fotografin Gudrun Hensling hatte (fast) alle beliebten Darsteller vor der Kamera

Von Bärbel Böttcher 01.04.2017, 10:00
Gudrun Hensling zu DDR-Zeiten mit ihrer Pentacon Six.
Gudrun Hensling zu DDR-Zeiten mit ihrer Pentacon Six. Privat

Halle (Saale - Nein, Zahnschmerzen hatte  Gudrun Hensling nicht. Dennoch landete sie an jenem Tag des Jahres 1984 - das genaue Datum ist ihr entfallen - unversehens auf dem Behandlungsstuhl von Dr. Alexander Wittkugel. Wittkugel? Richtig, das war der Zahnarzt aus der DDR-Fernsehserie  „Zahn um Zahn“ (1985 bis 1988), gespielt von Alfred Struwe. Ihm zur Seite stand  stets  Schwester Victoria „Häppchen“ Happmeyer, verkörpert von Helga Piur.

Gudrun Hensling arbeitete damals  als Filmfotografin beim Fernsehen der DDR.  Aber an dem bewussten Tag wurde sie unversehens zur Kleindarstellerin. Denn als dem Aufnahmeleiter auffiel, dass eine wichtige Szene noch gar nicht im Kasten ist,  da waren alle, die sonst als „Patienten“ infrage gekommen wären,  schon gegangen. Und so musste Gudrun Hensling für Dr. Wittkugel den Mund aufmachen. Am Ende lautete seine Diagnose: „Da drin ist auch nicht mehr alles in Ordnung.“ Aber da lief die Kamera schon nicht mehr.

 
Die Werke von Gudrun Hensling werden in der Händelhalle ausgestellt. (Kamera: Kevin Lachmund, Schnitt: Bernd Stiasny)

Als Filmfotografin war Gudrun Hensling so etwas wie die  Protokollantin der Dreharbeiten. Auf ihren Bildern hielt sie Maske und Kostüm der einzelnen Darsteller fest. Ebenso  die Requisiten. Das geschah, und geschieht übrigens bis heute, damit nach längeren Drehpausen oder einem Teamwechsel die Anschlüsse stimmten. Damit beispielsweise die Hauptdarstellerin nicht plötzlich eine ganz andere Frisur trug oder die Wohnung einer Filmfamilie ganz anders eingerichtet war als in der Szene davor.

Aber auch für Werbezwecke wurden und werden solche Fotos genutzt. So schmückte beispielsweise die Titelseite der „FF Dabei“ Nummer 45 des Jahres 1978 ein Bild des Schauspielers Horst Drinda in der Rolle des preußischen Militärreformers Gerhard von Scharnhorst. Aufgenommen von Gudrun Hensling. Weitere Fotos folgen im Innenteil.  Das  Titelbild für die „FF Dabei“ zu liefern, das sei etwas ganz Besonderes gewesen, sagt sie. „Eigentlich war  das nur wenigen Berliner Fotografen vorbehalten.“  

Die Zeitschrift befindet sich natürlich in ihrem privaten Archiv. Beim Blick darauf gerät sie regelrecht ins Schwärmen. „Der ,Scharnhorst’ ist mit das Tollste, was ich je gemacht habe“, sagt die Fotografin über die fünfteilige Fernseh-Serie. Vor allem die Winteraufnahmen - gedreht in einem sehr kalten Frühjahr - sind ihr gut in Erinnerung geblieben: „Einmal ist mir da sogar die Kamera eingefroren. Als ich die Filme entwickeln wollte, war alles schwarz.“

Gudrun Hensling: Die Filmfotografin beim Fernsehen der DDR hatte (fast) alle Stars vor der Kamera

Gudrun Hensling hat 1975 beim DDR-Fernsehen angefangen - freiberuflich. Es war ein Zufall, dass die Wahl-Hallenserin, die eigentlich aus Dresden stammt, in die heiligen Hallen des Berliner Fernsehbetriebes Einlass fand. Ein Produktionsleiter gehörte zum Bekanntenkreis der Familie. Und dem war seine Fotografin gerade abhandengekommen. Sie hatte einen Ausreiseantrag gestellt. Er animierte „die Gudrun“, die schließlich ausgebildete Fotografin war, sich zu bewerben. Und die  bekam den Zweitjob. Natürlich mit offizieller Genehmigung ihres ersten Arbeitgebers: zuerst das Dienstleistungskombinat in Halle-Neustadt, später die Universität.  

Der erste Film, für den Gudrun Hensling ihre Pentacon Six in Stellung brachte, war „Auf der Suche nach Gatt“ nach dem Roman von Erik Neutsch.  Diese  Dreharbeiten haben bei ihr  bis heute einen  starken  Eindruck hinterlassen. In dem Streifen geht es um die Geschichte des Bergarbeiters Eberhard Gatt. Viele Szenen wurden unter Tage im Thomas-Müntzer-Schacht Sangerhausen gedreht. Das sei an sich schon etwas Besonderes gewesen - zumal Frauen für diesen speziellen Aufenthaltsort eine Sondergenehmigung brauchten.

„Bergmännisch eingekleidet, 700 Meter unter der Erde, die Fortbewegung in Hunten - manchmal noch eine Stunde Fahrt bis zum eigentlichen Drehort - das war höchst anstrengend“, erzählt Gudrun Hensling.  Einmal habe die Crew am Ende eines solch harten Drehtages in der ziemlich ungemütlichen Umgebung fast eine Stunde auf den Rücktransport warten müssen. Dieter Mann, der Gatt-Darsteller,  habe die  Mannschaft mit Witzen bei Laune gehalten.   

Witzig war allerdings nicht alles, was die Filmfotografin unter Tage erlebte. „Einmal hieß es: Drehpause, keiner rührt sich von der Stelle, alle Türen bleiben geschlossen“, erzählt sie. Sie habe sich aber nicht daran gehalten, vorsichtig eine Tür geöffnet. Und was sie sah, verschlug ihr den Atem: „Massenweise kreidebleiche junge Gefangene, die unter Tage  schwer arbeiten mussten“, zogen vorüber. Zwar hat sie es nicht gewagt, die Szene zu fotografieren. „Aber ich könnte  noch heute ein Bild davon malen“, sagt die 75-Jährige.

Gudrun Hensling hat fast alle Größen des DDR-Films vor der Linse gehabt - Annekathrin Bürger, Ulrich Thein,  Gerry Wolf,  Irma Münch, Wolfgang Winkler, Hilmar Eichhorn . . .  Davon zeugen die  Schätze, die bei ihr zu Hause viele Alben, Mappen und Kisten füllen.  Zu fast jedem Foto kann sie eine Geschichte erzählen. Etwa von Herbert Köfer, dessen 60. Geburtstag sie  mitgefeiert hat. Damals bei den Dreharbeiten zu der Serie „Familie Neumann“. Oder von  Horst Schulze, der am Drehort des Filmes „Adel im Untergang“ jeden Mitarbeiter mit Handschlag begrüßte - auch den kleinsten Beleuchter. „Er wusste, dass ein Schauspieler, sei er  noch so berühmt,  gar nichts wäre, wenn es diese Menschen nicht gäbe.“ Aber sie habe  auch einige kennengelernt,  die nicht „Guten Tag“  sagen konnten. Über Namen schweigt sie an dieser Stelle.

Nachhaltig in Erinnerung geblieben sind ihr auch die Dreharbeiten zu der siebenteiligen Fernsehserie „Bühne frei“, in der sich alles um den Alltag eines Varietés dreht.  Sie fanden 1982 in Zwickau statt. Die Film-Crew war in demselben Hotel  untergebracht, in dem auch die  Mitarbeiter des französischen Autobauers Citroën wohnten, die dort im   Stadtteil Mosel ein Werk für Gelenkwellen aufbauten. „Die Franzosen waren unheimlich charmant und gastfreundlich“, erinnert sich Gudrun Hensling. Was vor allem die  vier Frauen des Film-Teams spürten. Doch Kontakte zu Ausländern aus dem NSW, dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, waren in der DDR unerwünscht. „Wir hatten regelrecht Angst, die Freundlichkeit zu erwidern“, sagt die Fotografin. Denn es habe in dem Hotel vor Stasi-Mitarbeitern nur so gewimmelt.

Sie selbst hat einmal eine Einladung der Franzosen zum Abendessen abgelehnt. Und danach in ihrem Hotelzimmer Rotz und Wasser geheult. „Wer  nimmt mir eigentlich das Recht, eine solche Einladung anzunehmen?“, diese Frage stellte sie sich ein ums andere Mal.  Gudrun Hensling fasste sich ein Herz, ging wieder herunter und  aß eine Kleinigkeit  mit den Ausländern.  „Es war schon regelrechte Selbstzensur“, sagt sie heute. „Wo waren wir nur hingekommen?“ Damals habe sie sich geschworen: „Das passiert mir nicht noch einmal.“

Wenn Gudrun Hensling, die den Hallensern als Stadtfotografin bekannt ist, heute auf diese Zeit beim DDR-Fernsehen zurückblickt, dann überwiegen die schönen Erinnerungen. „Diese Arbeit hat viel Spaß gemacht, ich durfte großartige  Menschen kennenlernen, habe tolle Sachen erlebt“, sagt sie. Arbeitsmäßig sei das nicht zu toppen.
1990 war dann Schluss. Der letzte Film, an dem die Hallenserin  mitgearbeitet hat, trug einen fast schon symbolischen Titel: „Der Rest, der bleibt“. (mz)