1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Das Popjahr 2007: Das Popjahr 2007: Newcomer und Kollaborationen

Das Popjahr 2007 Das Popjahr 2007: Newcomer und Kollaborationen

20.12.2007, 09:49

Hamburg/dpa. - Der Rückblick auf das Popjahr 2007 offenbart zwar nur wenige potenzielle Klassiker, aber eine Reihe solider Veröffentlichungen, überraschender Newcomer und interessanter Kollaborationen. An der musikalischen Vielfalt des endenden Jahres gab es nichts auszusetzen, aber die Krise der herkömmlichen Musikindustrie blieb dennoch weiterhin ein Thema, dem Plattenfirmen, Künstler und Fans mit unterschiedlichen Strategien begegneten.

Jedes Jahr hat seinen mehr oder weniger schnell vergänglichen Hype, so auch dieses. New Rave hieß das Phänomen, das mit leichter Verspätung über den Ärmelkanal schwappte. Bands wie New Young Pony Club, Klaxons und Shitdisco knüpften mit ihrer Fusion aus Indierock, Electro, Disco und New Wave an das US-Genre Dance-Punk an und brachten Neonfarben und Glowsticks für kurze Zeit zurück in den Club. Inzwischen ist der vom britischen Magazin New Musical Express (NME) erfundene Hype wieder abgeflaut.

An Neuigkeiten für die Tanzfläche mangelte es 2007 allerdings keinesfalls: Elektronische Musik boomte und zeigte sich so vielschichtig und fusionsfreudig wie schon lange nicht mehr. Getanzt wurde unter anderem zum minimalen und fein strukturierten Sound von Pantha du Prince, der schon zu Anfang des Jahres mit «This Bliss» ein hervorragendes Album veröffentlichte. Mit handfesten Rock-Referenzen reicherten Simian Mobile Disco, die französischen Justice und Digitalism ihren Electro-Sound an, der 2007 auch den Mainstream erreichte. Hot Chip, die Überflieger des vergangenen Jahres, präsentierten zwar noch keinen Nachfolger ihres Erfolgsalbums «The Warning», boten aber auf ihrer DJ-Kicks- Compilation einen stil- und geschmackvollen Überblick über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft elektronischer Tanzmusik.

Wer die leisen Klänge dem lauten Club vorzog, für den war 2007 ein höchst angenehmes Jahr. Ruhiger Folk-Pop erlebte einen Aufschwung und landete in einer großen Bandbreite von sehr traditionellen bis zu experimentellen Ausrichtungen in den Plattenregalen. Zu den populärsten Vertretern dieses Genres zählten 2007 zum Beispiel der Saddle-Creek-Act Bright Eyes, der schwedische Singer/Songwriter José Gonzáles und der überaus produktive US-amerikanische Künstler Devendra Banhart. Erstaunlich viele Künstler wagten sich zudem in Gefilde der so genannten Weltmusik vor und erreichten mit ungewöhnlichen Klangfarben und Stilrichtungen auch den Mainstream. Auf seinem zweiten Album «The Flying Club Cup» verarbeitete der Künstler Zach Condon alias Beirut süd- und osteuropäische Klänge. Die Londoner Musikerin M.I.A. legte mit «Kala» ein weiteres Album vor, auf dem sie asiatische, karibische und europäisch-urbane Sounds mischte. Die brasilianische Band Bonde do Rolê machte zudem die Stilrichtung Baile Funk, eine basslastige Mischung aus Rock und brasilianischem Funk in Europa populär.

Mit neuen Veröffentlichungen von Arcade Fire und Stars machte auch das boomende Pop-Land Kanada erneut auf sich aufmerksam. Während Arcade Fires neues Album «Neon Bible» ein wenig hinter den großen Erwartungen der Fans herhinkte, begeisterten Stars mit «In Our Bedroom After The War». Die Band avancierte mit ihrer vierten Platte vom hörenswerten Indie-Rock-Act zu einer lupenreinen Pop-Band, die sich vor opulenten Sounds und großen Gesten nicht scheut. Pop-Glamour verbreitete außerdem auch der britische Newcomer Mika, der mit eingängig-opulenten Songs und glitzernder Show auf fast allen Nominierungslisten der gängigen Music-Awards vertreten war. Insgesamt gab es im Rahmen der Verleihungen der MTV Music Awards in München und der Grammy Awards in Los Angeles wenig Aufregendes zu entdecken. In München konnten sich immerhin mit Avril Lavigne, Nelly Furtado und die neue R&B-Diva Rihanna drei weibliche Popstars über Auszeichnungen freuen. In Los Angeles heimsten die Dixie Chicks die wichtigsten drei Grammys ein.

Hinter der Glitzerfassade aufwändig inszenierter Preisverleihungen sah es 2007 in der Musikindustrie allerdings nicht allerorten rosig aus. Die Diskussion um illegale Downloads und Umsatzeinbußen spielte auch im diesem Popjahr eine Rolle. Die britische Band Radiohead reagierte auf die Diskussion um die Misere der Plattenindustrie mit einer ungewöhnlichen Aktion: Ihr Album «In Rainbows» erschien zunächst als digitaler Download, dessen Kaufpreis selbst von den Hörern bestimmt werden konnte. Radiohead ließen ihre Fans selbst entscheiden, wie viel oder ob sie überhaupt für «In Rainbows» bezahlen wollten, und ernteten mit dieser Idee sowohl Unmut als auch Respekt. Ob und wie sich der Wert von Popmusik verändert hat, konnte allerdings auch diese Aktion nicht zweifelsfrei klären.

Während sich Größen wie Radiohead mit geschäftlichen Experimenten beschäftigten und musikalisch weitgehend bei ihren Leisten blieben, wagten sich andere etablierte Kollegen auf neue Wege und an interessante Kollaborationen. Im Frühjahr überraschte die US-Indierockband Modest Mouse mit einem neuen Line-up, das mit einem sehr alten Bekannten aufwartete. Johnny Marr, Ex-Gitarrist der legendären The Smiths, spielte auf dem neuen Album der Band aus Portland Gitarre, und zwar nicht nur als Gast, sondern als vollwertiges neues Bandmitglied. Blurs Damon Albarn nahm gemeinsam mit Paul Simonon (The Clash), Simon Tong (The Verve) und Tony Allen (Fela Kuti) ein außerordentlich hörenswertes Album namens «The Good, The Bad And The Queen» auf. Zu den interessantesten Kollaborationen des Jahres zählte die des legendären The-Fall-Kopfes Mark E. Smith mit dem Kölner Electronica-Duo Mouse On Mars. Unter dem Namen Von Südenfed veröffentlichten die drei Musiker das Album «Tromatic Reflexxions».

Innerhalb Deutschlands waren es vorwiegend alte Bekannte, die in diesem Jahr mit herausragenden neuen Alben aufwarteten. Während die ganz jungen Musikfans nach wie vor bei Konzerten von Tokio Hotel das Bewusstsein verloren, lauschte die etwas ältere Popfraktion weiterhin den netten Texten und eingängigen Klängen von Wir Sind Helden. Die Berliner Band konnte auch mit ihrem zweiten Album «Soundso» Gold einheimsen. Auf den Fersen waren den Berlinern in diesem Jahr die Newcomer Karpatenhund aus Köln und Berlin, deren schneller und strikt geplanter Erfolg mit dem Debütalbum «Karpatenhund #3» kurzzeitig für Schlagzeilen sorgte. Das beeindruckendste deutschsprachige Album kam in diesem Jahr erneut von Tocotronic. Auf der neuen Platte «Kapitulation» zeigte die inzwischen zum Quartett erweiterte Band, wie sich ihre Vergangenheit als schrammelige und bewusst dilettantische Gitarrenrockband mit einer Vorliebe für größere Popentwürfe kombinieren lässt. Auf zahlreichen Festival-Auftritten spielten sich die bekanntesten Vertreter der so genannten Hamburger Schule zudem so umfassend durch ihr gesamtes Repertoire, dass sogar Gerüchte um eine baldige Auflösung der Band laut wurden. Die erwiesen sich allerdings als unwahr.

Anders als Tocotronic haben in diesem Jahr allerdings auch einige Bands die Segel gestrichen. Blumfeld gaben Mitte Mai ihr Abschiedskonzert im heimischen Hamburg und bedankten sich bei ihren Fans mit einer Compilation von Hits und Raritäten. Ebenfalls den Hut nahmen die HipHopper Kinderzimmer Productions, die ihre Auflösung mit einem Missverhältnis zwischen illegalen Downloads und regulären Plattenverkäufen begründeten. Ans Licht gebracht hat diese prekäre Lage übrigens unter anderem das Web-2.0-Musikportal last.fm, das in diesem Jahr zu den beliebtesten und am schnellsten wachsenden Internet-Anwendungen im Musikbereich zählte. Auf der Social-Networking-Webseite können registrierte User ihre Hörgewohnheiten erfassen, Charts generieren, diese mit anderen Usern vergleichen und persönlich zusammengestellte Online-Radiostreams hören, sowie Bands und Plattenfirmen ihre Musik präsentieren. Im Mai dieses Jahres wurde Last.fm für 280 Millionen Dollar an das amerikanische Unternehmen CBS Corporation verkauft.

Während die Fans von Bands wie Blumfeld oder Kinderzimmer Productions sich über die Aussicht auf neue Projekte freuen können, hieß es 2007 auch erneut, von einigen Künstlern aus der Musikwelt endgültig Abschied zu nehmen. Unter anderem starben in diesem Jahr der junge norwegische Singer/Songwriter Thomas Hansen alias Saint Thomas, Lee Hazlewood und der Musiker und Produzent Ike Turner.