«Das gestohlene Kind» auf dem Weg ins Erwachsenenalter
Hamburg/dpa. - Hamburg Ein Kind wird geraubt. Doch kein Triebtäter steckt dahinter, sondern eine Bande von Kobolden. Wie in grauer Vorzeit, in der der Aberglaube noch den Alltag bestimmte, tauschen diese Geschöpfe mitten im 20. Jahrhundert ein Kind der modernen Zeit gegen eines der ihren aus, damit dieser Wechselbalg ein neues Leben unter den Menschen erfahren kann.
Der amerikanische Autor Keith Donohue verknüpft in seinem Romandebüt «Das gestohlene Kind» kunstvoll Motive aus Märchen und Psychologie. Mit den Mitteln der Fantasy erzählt er in diesem Märchen für Erwachsene vom Älterwerden und dem Verlust der Kindheit. Die Filmrechte an dem Roman hat sich der Internet-Händler Amazon gesichert.
Die beiden vertauschten Kinder müssen sich in einer für sie fremden Umgebung behaupten und zu sich selbst finden. Kein leichtes Unterfangen, aber ein spannendes zumindest für den Leser. Erfrischend ist, dass das Leben im Wald trotz der rudimentären Zauberkräfte der Kobolde so gar nicht romantisch geschildert wird. Es ist kalt, die Schlafstätten sind hart, und das Essen zu beschaffen, ist eine gefährliche Aufgabe. Und die Kerle stinken. Darüber beklagen sich beide Wechselbälger, der aus dem Wald zu Eltern und Schwestern zurückgekehrte falsche Henry Day ebenso wie Anyday so wird der richtige Henry nun von seinen neuen Kumpanen genannt.
Donohue wurde 1960 in der Industriestadt Pittsburgh in Pennsylvania geboren und lebt heute in Washington. Erst während des Studiums der Anglistik soll er seiner irischen Wurzeln gewahr geworden sein. Zu der Story über Wechselbälger hat ihn nach Angaben des Verlages ein Gedicht des irischen Dichters William Butler Yeats inspiriert. Dessen Titel «The Stolen Child» übertrug er dann auf seinen Roman. Irlands Naturgeister sind so klingt es in der modernen Story an einst von den Pelztierjägern aus Europa nach Amerika eingeschleppt worden. Nun aber dringen Straßen und Wohngebiete immer weiter in den Wald ein und zerstören den Lebensraum der Feenwesen.
So beschreibt Donohue auch den Zerfall einer Kultur: In dieser Gruppe der Kobolde wird es keinen neuen Wechselbalg mehr geben. «Wir werden nicht mehr für notwendig erachtet», stellt Anyday fest. Und ihn schaudert's während er seine Geschichte niederschreibt bei dem Gedanken an die wirklichen Gefahren für die Kinder der modernen Welt. Der neue Henry Day dagegen, der einst selbst ein gestohlenes Kind war, erforscht die eigenen Wurzeln in einer deutschstämmigen Familie. Und indem er die musikalische Begabung dieses verlorenen Jungen weiterentwickelt, findet er zu seinem eigenständigen Erwachsenenleben.
In deutschen Märchen heißt es, wer einen Wechselbalg loswerden will, muss ihn zum Lachen bringen. Auf dieses befreiende Lachen müssen Henry Day und Anyday ein Buch lang warten. Doch dann sind sie in ihren Welten wieder ein Ganzes geworden. Beide können sich auf ihren Weg machen, dessen Ziel die Liebe ist.
Keith Donohue
Das gestohlene Kind
Verlag C. Bertelsmann, München
448 Seiten, Euro 19,95
ISBN 978-3570009369 (dpa)