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„Rigoletto“ und „Die Räuber“ Das Anhaltische Theater Dessau zeigt zwei Premieren zum Saisonstart

Von Andreas Montag Aktualisiert: 13.09.2021, 12:38
Rigoletto (Ólafur Sigurdason) und Gilda (Ania Vegry)
Rigoletto (Ólafur Sigurdason) und Gilda (Ania Vegry) (Foto: Claudia Heysel)

Dessau-Roßlau/MZ - Wollte man es sportlich betrachten, stünden nach dem Saisonstart des Anhaltischen Theaters am Wochenende vier Punkte zu Buche. Drei für den überzeugenden Sieg von Malte Kreutzfeldts Inszenierung der Verdi-Oper „Rigoletto“, allenfalls ein Unentschieden steuert der Schauspieler und Regisseur Milan Peschel mit seinem Experiment an Schillers „Räubern“ bei. Letzteres kann man zwar mutig finden in der spektakulär-dekonstruktiven Schule Frank Castorfs, abgeschmeckt mit anarchischem Bühnenspaß nach Art von Herbert Fritsch. Aber gelungen ist das Ganze im Gegensatz zu „Rigoletto“ eben leider nicht.

Man muss dabei nicht die oft ideologisch geführte Debatte um das sogenannte Regietheater herauskramen - es gibt nur zwei Arten von Theater: gutes und weniger gutes. Das Maß der Dinge ist dabei nicht, wie werkgetreu ein Regisseur arbeitet. Vielmehr geht es um die Menschengeschichten, die auf der Bühne erzählt werden sollen. Wozu ginge man sonst hin?

Bei „Rigoletto“, in italienischer Sprache mit Übertiteln und sowohl szenisch gestrafft als auch mit corona-bedingt verschlanktem Orchester geboten, geht das hundertprozentig auf.

Die Tragödie des Rigoletto (Ólafur Sigurdason), der seine geliebte Tochter Gilda (Ania Vegry) an seinen leichtlebigen, gewissenlosen Chef, den Herzog von Mantua (Costa Latsos), verliert und sie am Ende sterbend in den Armen hält, ist von solch elementarer Wucht, dass man sich dem schwerlich entziehen kann.

Dimension des Unglücks

Auf einer wohltuend sparsam ausgestatteten Bühne (gleichfalls von Kreutzfeldt), deren gelegentlich beklagte Größe hier die Dimension des Unglücks und der Verlorenheit Rigolettos und Gildas beklemmend sicht-, ja spürbar macht, entfaltet sich ein Spiel, das keines zeitgenössischen Kommentars oder moderner Arabesken bedarf. Auch die zurückhaltenden, schlichten Kostüme (Katharina Beth) unterstreichen das zeitlos Gegenwärtige der Geschichte. Zumal sie, das arbeitet die Inszenierung klug heraus, eben vor allem auch die Tragödie der jungen Frau ist, die über sich selbst bestimmen will und in den Grenzen des Systems nur noch die Freiheit zu sterben finden kann.

Gänsehauttheater, diese Oper aus dem 19. Jahrhundert! Und auch für die Ohren ein Genuss. Aus dem Graben gibt es bei aller notwendigen Dramatik einen wunderbar leichten Verdi zu hören, die Anhaltische Philharmonie, geleitet von Elisa Gogou, musiziert gewohnt kultiviert. Am Ende der reichlich zweistündigen Aufführung werden Blumensträuße auf die Bühne geworfen, das Publikum applaudiert stehend. Und allen Mitwirkenden, unter denen Vegry und Sigurdason stimmlich wie darstellerisch noch herausragen, steht die Freude in die Gesichter geschrieben.

Franz (Henning Hartmann , l.), Maximilian (Roman Weltzien)
Franz (Henning Hartmann , l.), Maximilian (Roman Weltzien)
(Foto: Claudia Heysel)

Beifall hat es auch am Freitagabend für „Die Räuber“ gegeben. Liest man im Programmheft, wird man die Absichten des Regisseurs Milan Peschel, der schauspielernd eben als „Beckenrand Sheriff“ in den Kinos unterwegs ist, und seines Dramaturgen Alexander Kohlmann, zugleich Dessaus Schauspieldirektor, schon verstehen. Wer sich dagegen allein dem Bühnengeschehen anvertraut, wird seinen Schiller vielleicht suchen müssen - und manchmal nicht finden können. Ob aber Theater wie ein technisches Gerät erst nach Lektüre der Gebrauchsanleitung funktioniert, darf bezweifelt werden.

Auf heiterer Spur

Das insgesamt sehr spielfreudige, disziplinierte Schauspielensemble um Roman Weltzien arbeitet sich durch das Material, der Abend wirkt allerdings eher wie eine Collage - gern auch auf heiterer Spur unterwegs. Das ein- wie ausgangs gespielte Biermann-Lied „Ermutigung“ aus DDR-Tagen hatte dabei anfangs noch hellhörig gemacht. Darin ist die Rede davon, dass man sich nicht verhärten lassen soll in dieser harten Zeit. Irgendwann wird auch das Jungpionierlied vom Altpapiersammeln erklingen, da denkt man eher an Kindergeburtstag.

Auch das denkmalgeschützte Dessauer Haus wird ins Spiel gebracht, und vieles hat herzlich wenig mit den Konflikten zu tun, die hier eigentlich verhandelt werden sollen. Da gibt es die zur Karikatur überzeichnete Figur des senilen, überforderten Vaters, dazu den intrigant-fiesen - und den eigentlich guten Sohn, der unter die Räuber und vor die Hunde geht. Alles hat natürlich mit allem zu tun: Macht und Ohnmacht, alte Männer und junge Karrieristen, Stalinismus und Marktwirtschaft. Auch der Dramatiker und Regisseur Heiner Müller wird erwähnt, der freilich formstreng wie kaum einer gewesen ist.

Aber, Menschenskinder, warum dies alles in einem solchen Knäuel, in dem auch Schiller steckt, woraus man sich nach zwei Stunden erst wieder befreien muss? Weil die Geschichte, die Gegenwart und mutmaßlich auch die Zukunft verdammt kompliziert sind? Das weiß man schon.

Nächste Aufführungen von „Rigoletto“ am 2. und 17. Oktober, jeweils 17 Uhr; „Die Räuber“ wieder am 18. September und 10. Oktober, jeweils 17 Uhr