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Cornelius Gurlitt Cornelius Gurlitt: Der weltfremde Sammler der Raubkunst

Von Ingeborg Ruthe 18.11.2013, 06:28
„Kann bis Sonnabend Abend 800 Reichsmark für kleine Skizze Liebermannbild bieten - erbitte Drahtanwort“, heißt es in diesem Fernschreiben von Gurlitt
„Kann bis Sonnabend Abend 800 Reichsmark für kleine Skizze Liebermannbild bieten - erbitte Drahtanwort“, heißt es in diesem Fernschreiben von Gurlitt Andreas Stedtler Lizenz

Berlin/MZ - Es gibt eine neue Sensation. Ein paar große Puzzleteile im Fall des Kunstsammlersohnes Gurlitt und des rätselhaften Moderne- und Alte-Meister-Bilderfundes aus der NS-Zeit in seiner Münchener Wohnung vor gut einem Jahr. Cornelius Gurlitt, der bislang fast nur als Phantom wahrnehmbare, bald 81-jährige Sohn und Erbe des Sammlers und Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895-1956), der bislang schwieg, hat endlich geredet, das erste Mal und freiwillig.

Eine Reporterin des Magazins „Spiegel“, offenbar die einzige, der der alte, seit zwei Wochen von den Medien verfolgte Mann halbwegs vertraute, ist vor Tagen mit ihm Zug gefahren, im ICE, zweiter Klasse, in eine süddeutsche Kleinstadt, zum Internisten des Herzkranken.

„Es sind meine Bilder“

Seit zwei Wochen ist der Bilderfund jener ominösen, sich nun aber Stück für Stück ein wenig erhellenden Sammlung gesuchter Werke bekannt. Seither recherchiert, ermittelt, spekuliert die geballte mediale Welt mit, meldet sich der Jüdische Weltkongress, stellen mögliche Erben, Besitzer, Museen auf der von der Bundesregierung vor Tagen geschalteten Internet-Plattform lostart.de intensive Nachforschungen an. Die beschlagnahmten 1 406 Bilder, von denen immer mehr übers Internet öffentlich werden sollen, liegen im Zolldepot Garching. Erwartet wird eine Flut von Rückgabeforderungen. Doch die Rechtslage ist unklar. Cornelius Gurlitt sagt: „Es sind meine Bilder!“ Ungeachtet aller in den Medien bislang hin- und her gewendeten Sachlagen, juristischen, moralischer Argumente. Die Bilder seien ja nun bei der Staatsanwaltschaft, da müsse hin, wer etwas über sie erfahren wolle. Er wisse viel über deren Entstehungsgeschichte, aber die werde er für sich behalten: „Wie eine Liebschaft, die behütet werden muss... mehr als meine Bilder habe ich nichts geliebt.“

Bislang wird gegen Gurlitt wegen Unterschlagung und Steuerhinterziehung ermittelt. Möglicherweise ist jedoch sogar dieser Vorwurf unhaltbar, denn Gurlitt ist in Österreich gemeldet. In Salzburg besitzt er seit Jahrzehnten ein recht heruntergekommenes Haus.

In der aktuellen Ausgabe des Spiegel also steht die Geschichte jener Zugfahrt als stark empathischer Text. Cornelius Gurlitt sagt nun endlich allerhand, das ihn und sein seltsames Verhalten betrifft, das Rätsel um die Rolle seines Vaters indes, bei dem sich alle Welt fragt, ob er, der Kunstliebhaber, Künstlerfreund - auch vieler „Entarteter“, Verfolgter - denn nun mutiger Beschützer oder ebenso zweifelhafter Kunstkäufer im Auftrag der Nazis war, löst der greise Sohn nicht auf. Er scheint auch überhaupt nicht zu verstehen, wieso sich jetzt eine breite Öffentlichkeit so begierig dafür interessiert, was in seinen Augen „Privateigentum“ ist. Cornelius Gurlitt beklagt: „Ich bin doch nicht Boris Becker, was wollen diese Menschen nur von mir? Ich bin doch etwas ganz Stilles. Ich habe doch nur mit meinen Bildern leben wollen. Warum fotografieren die mich für diese Zeitungen, in denen sonst nur Halbweltgestalten abgelichtet werden?“ Und dann klagt er sich selbst an: Er hätte die Bilder schützen müssen, wie sein Vater es getan habe, „gegen das Feuer der Nazis, gegen die Bomben, gegen die Russen, gegen die Amerikaner“. Der Vater war sein Held. Sich selbst sieht Cornelius Gurlitt selbstbeschuldigend nun als „Versager“, der die Bilder nicht bewahren konnte.

Gurlitt sagt, dass er einen Fehler begangen habe, als er auf Wunsch seiner Mutter vor 53 Jahren nach München zog - mit den Bildern. Er hätte besser woanders leben sollen, weit weg von der Schweizer Grenze, wo die Zollfahnder ihn 2010 ins Visier nahmen. Mehrfach äußert er: „Hoffentlich klärt sich alles schnell und ich bekomme endlich meine Bilder zurück.“ Worauf er hofft, ist offenbar, dass die Öffentlichkeit „das Interesse verlieren“ möge.

Vorschlag aus dem Kanzleramt

Kindlich naiv hört sich das an von einem, der einen geheimen Schatz erbte, sich aber offensichtlich niemals fragte, woher dieser stammt und was er bedeutet. Von Unrechtsbewusstsein keine Spur. Dafür bricht es gegenüber der Spiegel-Reporterin aus ihm heraus: „Ich werde nicht so alt. Die hätten doch warten können mit den Bildern, bis ich tot bin.“ Aber so tragisch muss es nicht kommen: Laut Focus und Welt Online vom Sonntag bieten Kanzleramt und Bayrische Justiz Cornelius Gurlitt einen „Deal“ an: Er solle die Bilder, von denen womöglich 590 als „NS-Raubkunst“ gelten, freiwillig dem Staat überlassen. Im Gegenzug könne das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt werden.

Bilder aus Gurlitts Sammlung
Bilder aus Gurlitts Sammlung
dpa Lizenz