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Coldplay Coldplay: «Ich kann sehr fies sein»

12.02.2012, 21:27
Chris Martin.
Chris Martin. dapd Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Von den Kritiken allerdings wird die Gruppe um Sänger Chris Martin meist zerrissen. "Zu nett", "zu prätentiös" lauten da noch die harmloseren Vorwürfe. Das mag auch der Grund dafür sein, warum man Chris Martin nachsagt, mitunter ein schwieriges Verhältnis zur Presse zu haben. Fragen zu seiner noch prominenteren Ehefrau Gwyneth Paltrow seien generell nicht zu empfehlen, rät die Plattenfirma schon mal im Voraus. Wir trafen ihn und Coldplay-Schlagzeuger Will Champion in der Kölner Lanxess-Arena.

Das Gespräch führten Christian Bos und Sarah Brasack:

Mr. Champion, Mr. Martin, nur mal angenommen, wir würden jetzt zugeben, dass wir uns alle Ihre Alben in Form von illegalen Downloads besorgt hätten. Wie würden Sie reagieren?

Martin: Ich würde sagen: Dieses Interview ist vorbei, bevor es angefangen hat.

War ja nur eine hypothetische Frage.

Martin: Ist schon gut, ich habe auch nur Spaß gemacht. Tatsächlich hätte ich keine Probleme damit, wenn Sie unsere Musik illegal heruntergeladen hätten. Ich weiß, dass sich heute nicht jeder Musik leisten kann.

Dabei ist illegales Downloading strafbar, andere Kollegen setzen Anwälte in Bewegung, um dagegen vorzugehen. Woher nehmen Sie Ihre Gelassenheit?

Champion: Wenn Sie uns illegal downloaden, würde das ja immerhin bedeuten, dass Sie unsere Musik mögen. Sonst würden Sie sie ja nicht stehlen.

Martin: Natürlich gibt es auch in dem Bereich Grenzen. Ich hätte schon etwas dagegen, wenn Sie unsere Musik illegal herunterladen, sie dann auf CD brennen und die dann in einem Second Hand-Musikladen verhökern würden, und so Geld dafür bekommen, dass Sie selbst für unsere Musik nie bezahlt haben.

Nun haben gerade die illegalen Downloads Ihre Branche in eine existentielle Krise gestürzt. Ihr Label Parlophone gehört zu der traditionsreichen englischen Plattenfirma EMI, die demnächst wegen der wirtschaftlichen Schieflage verkauft werden soll. Fragen Sie sich da manchmal: Was wird dann aus uns?

Martin: Wir sind doch schon immer verkauft worden. Ich glaube mittlerweile vier- oder fünfmal. Ich sehe das inzwischen so: Coldplay sind wie ein gebrauchtes Auto, mit einer Menge Fahrer drin. Aber unser Motor läuft immer noch (lacht).

Ihr Produzent Brian Eno hat mit seiner damaligen Band Roxy Music noch die fetten Jahre des Musikgeschäfts erlebt. Haben Sie mit ihm je darüber gesprochen, wie es war, wenn er Größen wie David Bowie, Talking Heads oder U2 produzierte, und die Arbeiten sich monatelang hinziehen konnten, ohne dass jemand aufs Geld schaute?

Champion: Ja, am Ende einer langen Arbeitswoche, an einem Freitagnachmittag, als alle heruntergefahren hatten, haben wir uns Tee gemacht und ihn tatsächlich gebeten, uns Geschichten von der Arbeit mit Bowie und den anderen Legenden zu erzählen.

Martin: Aber leider erzählt er nicht gerne von seiner ausschweifenden und glorreichen Vergangenheit. Er macht lieber etwas Neues.

Eno soll am Anfang seiner Zusammenarbeit mit Ihnen vor allem empfohlen haben: weniger Chris Martin!

Martin: Ja, das stimmt.

Waren Sie beleidigt?

Martin: Nein, ganz im Gegenteil, ich war sehr glücklich. Weil er völlig Recht hatte.

Aber Sie sind der Frontmann, die Stimme der Band. Was hat er denn genau damit gemeint?

Martin: Während der Arbeit an unserem dritten Album "X & Y" hatten wir an Selbstvertrauen verloren. Wir hatten uns einerseits zu sehr auf den Computer verlassen, weil wir glaubten, auf diese Weise würden wir die perfekte Aufnahme hinbekommen. Daher fühlten wir uns als Musiker irgendwie limitiert. Hinzu kam, dass ich nicht nur der Sänger war, sondern auch die meisten Songs schrieb. Das hat die anderen eingeschüchtert. Eno hat das Selbstbewusstsein der anderen wieder aufgebaut, indem er mich ein bisschen degradierte.

Und das hat Ihnen gefallen?

Martin: Ich fand's großartig, weil das der Grund ist, warum wir als Band heute viel besser sind als früher. Heute greifen bei uns viele Einflüsse ineinander. Es dreht sich nicht mehr alles nur um mich.

Sie stehen dennoch mehr als Ihre Kollegen im Fokus. Auf die Titelseiten von Magazinen kommt nur, wer einen gewissen Sex-Appeal hat - und das schätzen offenbar auch viele Ihrer weiblichen Fans.

Martin: Darüber habe ich noch nie wirklich nachgedacht. Ich glaube auch nicht, dass das stimmt.

Jetzt kokettieren Sie.

Martin: Nein. Ich weiß, dass viele Menschen die übrigen Bandmitglieder auch attraktiv finden, mich eingeschlossen (er streichelt Champions Knie).

Können Sie es sich erklären, warum Sie fast die einzige Band sind, deren Mitglieder die 40 noch nicht überschritten haben, die es derzeit schafft, weltweit Stadien zu füllen?

Martin: Nein, kann ich mir nicht erklären. Aber von den jüngeren Bands können das außer uns auch noch die Kings Of Leon.

Champion: Ich glaube, wir hatten einfach das Glück, bereits in einer Zeit erfolgreich gewesen zu sein, als von CDs noch generell mehr Stückzahlen verkauft wurden, als das heute der Fall ist. So hatten wir ein bisschen Narrenfreiheit, konnten uns entwickeln, ohne in ökonomische Zwänge gepresst zu werden.

Martin: Andererseits gehören wir nicht mehr zu jener Generation von Musikern, die davon ausgehen konnte, dass die Zuschauer automatisch zu ihren Konzerten kommen, nur weil sie das letzte Album vor drei Jahren mochten. Diese Selbstverständlichkeiten gibt es heute nicht mehr. In wirtschaftlich angespannten Zeiten wie diesen ist jedes Album eine Art Neustart.

Bislang haben Sie die Baisse ganz gut ausgeglichen: Sie haben mehr als 50 Millionen Platten in Dutzenden Länder verkauft, sind eine der erfolgreichsten jüngeren Bands der Welt.

Martin: Bislang hatten wir einfach Glück, dass mit jedem neuen Album offenbar mehr Leute dazu gestoßen sind, die uns gut finden. Aber nicht alle mögen uns.

Zuletzt haben Sie öffentlich darüber geklagt, dass Sie jetzt in den Charts mit jungen Künstlern wie Adele und Justin Bieber konkurrieren müssen. Fühlen Sie sich mit Mitte 30 schon wie müde alte Männer?

Champion: Wir haben neulich ein Video gedreht. Es war das erste Mal, dass wir eine Gruppe von Tänzern dabei hatten. Es hat zwar großen Spaß gemacht, trotzdem habe ich mich in dem Moment wirklich sehr alt gefühlt.

Auf Wikipedia wird behauptet, Sie hätten am Anfang Ihrer Bandkarriere einen Vertrag aufgesetzt, in dem stand: "Wer Drogen nimmt, fliegt aus der Band." Ist das nicht sehr un-rock'n'rollig?

Champion: Das wäre es gewesen, ja...

Martin: . . . wenn es denn wahr wäre. Ist es aber nicht. Diese Behauptung ist Unsinn. So eine Regel hat es nie gegeben.

In dem neuen Song "Hurts Like Heaven" singen Sie: "Heute Nacht gehören die Straßen uns / Und wir schreiben und sagen / Gib Ihnen keine Macht!" Haben Sie da die Occupy-Bewegung vorausgedacht?

Martin: Das klingt fast so. Es war natürlich nicht so gedacht, weil wir den Song geschrieben haben, bevor es Occupy überhaupt gab. Aber es passt ziemlich genau.

Champion: Es gab 2011 ja eine Menge solcher Bewegungen, bei denen die Menschen auf den Straßen zusammenkamen, um grundlegende Rechte zurückzufordern. Sie haben sich mithilfe der neuen Kommunikationsmittel mobilisiert und vernetzt.

Martin: Da haben wir offenbar den Zeitgeist getroffen, ohne es zu ahnen. Ist Zeitgeist eigentlich ein deutsches Wort?

Champion: Ja.

Martin: Was heißt es denn auf Deutsch?

Das Gleiche wie im Englischen.

Martin: Okay. Aber was bedeuten die zwei Silben?

"Zeitgeist" ist allerdings ein ambivalenter Begriff, der auch Modeerscheinungen mit einschließt. Wie sehen Sie die Occupy-Bewegung - als vorrübergehendes Phänomen

?

Martin: Wie es scheint, war Occupy bislang vor allem für die Camping-Industrie sehr profitabel. Denen müsste es jetzt prima gehen. Nein, im Ernst. Ich weiß nicht, wie ich diese Bewegung einschätzen soll. Ich fische da noch im Trüben.

Die Occupy-Bewegung fordert, dem Raubtier-Kapitalismus endlich engere Grenzen zu setzen, oder konkret: die Finanzwirtschaft stärker als bisher zu kontrollieren. Das müsste bei einer Band mit politischem Sendungsbewusstsein wie Coldplay doch auf Resonanz stoßen, oder?

Ich kann die Empörung der Occupy-Anhänger nachvollziehen. Selbstverständlich glauben auch wir, dass jeder Mensch ein Recht auf Arbeit und ein geregeltes Grundeinkommen hat - aber so eine Forderung ist ja nicht anti-kapitalistisch. Und dass viele Investment-Banker immer noch gewaltige Boni bekommen, die sie eigentlich nicht verdient hätten, bleibt weiterhin ein großes Problem. Aber ich bin kein Experte in diesen Dingen.

Sie engagieren sich seit langem für Fair-Trade-Produkte und Amnesty International. Würden Sie so weit gehen, zu sagen, dass Künstler auch die Pflicht haben, sich politisch zu engagieren?

Champion: Nein, ich würde nie verlangen, dass andere das auch machen müssen. Wir können den Kollegen doch nicht vorschreiben, was sie tun sollen. Uns ist dieses Engagement sehr wichtig. Wir haben früh gemerkt, dass wir etwas erreichen, verstärken können, wenn wir mit Organisationen wie Amnesty International zusammenarbeiten.

Martin: Ich glaube nicht, dass Stars oder Künstler in der Hinsicht eine besondere Verantwortung haben. Das ist das Recht, die Pflicht eines jeden einzelnen, sich für die Dinge, an die man glaubt, zu engagieren. Ganz gleich, ob du Sänger, Schlagzeuger, Mitarbeiter der Müllabfuhr oder Putzfrau bist. In den meisten Fällen wird es ja eher noch kritisiert, wenn man sich als Promi engagiert. Da heißt es dann immer: Die machen das doch bloß, weil ...

…sie ihr Image polieren, mehr Alben verkaufen oder sich mehr Tiefe geben wollen, als sie tatsächlich haben?

Martin: So in etwa. Dabei würde ich das genauso tun, wenn ich einen ganz anderen Job hätte.

Sie machen jetzt seit 1996 zusammen Musik. Viele Bands schaffen es nicht, so lange zusammen zu bleiben, weil irgendwann die unterschiedlichen Interessen, die Gruppe zerstören. Jetzt mal abgesehen von Brian Enos gruppendynamisch wertvollen Anordnungen: Wie halten Sie Ihre vier Egos klein und die Band am Leben?

Martin: Wir haben eigentlich fünf Egos, weil Phil (Phil Harvey, der Manager der Band) unser fünftes Mitglied ist. Er sorgt dafür, dass wir friedlich miteinander umgehen. Er managt auch unsere Egos sehr gut. Und je länger wir zusammen sind, desto mehr wissen wir die anderen zu schätzen, wie sehr wir uns brauchen. Natürlich gehen wir uns manchmal auf die Nerven. Ich kann manchmal sehr fies sein.

Unser Bassist Guy ist manchmal wirklich mies gelaunt. Aber inzwischen wissen alle, dass das persönliche Macken sind. Niemand wird deswegen die Band verlassen. Denn jeder von uns weiß, dass er ohne die anderen nicht weit kommt. Kennen Sie eigentlich die Metallica-Dokumentation "Some Kind of Monster"?

Sie meinen den Film, in dem die Band ihre internen Gruppentherapien zeigt, in denen sie sich gegenseitig aufs Übelste beschimpfen und demütigen?

Martin: Ja. Das hat eine abschreckende Wirkung und ist eine gute Warnung. Ich hoffe, dass es bei uns nie so weit kommen wird.