Christiane Möbus Christiane Möbus: Kunst versetzt Eisberge
Magdeburg/MZ. - Der Ozean rinnt in feinen blauen Fäden aus, Träume werden als winzige bunte Perlen fixiert und der Horizont spannt sich als blasses Tuch zwischen Verkehrsschildern auf: In der Kunst der Christiane Möbus ist nichts so, wie es heißt. Dies zeigt auch die große Personalausstellung, mit der die 1947 in Celle geborene und seit 1990 in Berlin lehrende Künstlerin jetzt das Magdeburger Kloster Unser Lieben Frauen nach seiner Sanierung wieder eröffnet. "Die Geschichten der Christiane Möbus" spannen einen Bogen von den performativen und fotografischen Anfängen um 1970 in die Gegenwart - und geben so den Blick auf ein bemerkenswertes Lebenswerk frei.
Postkarten vom Mississippi
Möbus ist tatsächlich eine begnadete Erzählerin, die ihrem Adressaten allerdings keine unmissverständliche Botschaft vermitteln will. Schon ihre frühen Arbeiten sind eigensinnige, selbst gestellte Aufgaben mit dem Hang zur Utopie: "Schleppe einen Eisberg von Cape Farewell / Grönland in den Jadebusen / W.Deutschland" heißt der handschriftliche Vermerk zu einer Karte des Atlantischen Ozeans, der notwendige Nachsatz lautet "noch nicht ausgeführt". Umgesetzt wurde hingegen das "Mississippi-Projekt", bei dem Möbus dem Flusslauf mit Linienbussen folgte und sich von einzelnen Stationen immer wieder Postkarten an die eigene Adresse schickte. Auf einer Landkarte kann man nun anhand der Poststempel den zeitlichen und räumlichen Verlauf der Reise nachvollziehen - ein Tagebuch, das mehr verheimlicht als es preisgibt.
Aber Christiane Möbus interessiert sich nicht nur für die Kartierung der Erde, sondern auch für die flüchtigen Bilder des Himmels und des Schnees: In Wyoming fotografiert sie Kondensstreifen, auf ihrem Dach in New York hält sie winterliche Spuren fest. Und aus all diesem Material, dessen Aneignung von der Suche nach einem eigenen Gestus zeugt, entwickelt sich allmählich eine unverkennbar eigene, dabei aber höchst wandelbare Bild- und Zeichensprache.
Von diesem Finden erzählen die jüngeren Werke in den großzügigen Räumen des Magdeburger Klosters: Bereits das Entree "Küsse vom König", das eine präparierte Giraffe im Aufgang zum Obergeschoss über zwei Etagen schweben lässt, irritiert mit seiner Schwerelosigkeit wie mit seinem assoziativen Namen. Spielt der Titel mit der majestätischen Erscheinung dieses Tieres, das sich nur unter größten Mühen zu den "Untergebenen" herablassen kann? Oder ist tatsächlich nicht mehr als eine poetische Alliteration gemeint? Den umgekehrten Weg geht die Arbeit "Nelly", die lediglich den monströsen Alligator benennt, der auf einem Turm aus Koffern und Medizinbällen thront. Welchen Schatz hütet dieses tote Tier? Die Gepäckstücke wecken ambivalente Gefühle von Urlaubsreise bis Deportation, die Sportgeräte erinnern an das zwiespältige Ideal des tüchtigen Leibes - und über allem fletscht das Reptil seine spitzen Zähne.
Dass die Welt der Christiane Möbus immer dialektisch verstanden werden will, zeigen exemplarisch auch die beiden Arbeiten zu Vogel-Motiven: Während in "Mein lieber Schwan" zwei prächtige Exemplare wie im Flug gefroren über weißen Kegeln verharren, saugen in "Kolibri" fotografierte Exoten Nektar aus Blüten - und die Aufnahmen sind auf Segmente von Baumstämmen montiert. So wird das Objekt zum Bild und das Bild zum Objekt - und immer steht das Tier dabei als Repräsentant der Natur, die Christiane Möbus als Ursprung der Kultur versteht. Erschreckend wird der Zugriff des stärkeren, "zivilisierten" Menschen auf das Tier in "Die ewigen Jagdgründe" deutlich: Wenn man sich unter einem schwarzen, frei im Raum hängenden Zylinder hindurchgebückt hat, sieht man sich plötzlich von Hirschgeweihen umringt, die den potenziellen Jäger selbst zur umzingelten Beute werden lassen.
Kriminalstück mit Klavierlack
So bewegt man sich in der Schau traumverloren zwischen Schönheit und Schrecken, steht staunend vor den lakonischen wie den pathetischen Arbeiten und wird von ihrem Zauber ganz unmittelbar angerührt. Da ist das "Kriminalstück II" mit seinem gigantischen Klavierlack-Tisch, auf dem ausgestanzte Hände liegen. Da ist das "Tiffany"-Möbel, das Glastisch und Vasenensemble zugleich zu sein scheint. Und da sind am Wegesrand immer wieder magische, nicht selten mit Bleistiftnotizen und -strichen auf der Wand ergänzte Objekte, zu denen "Der kleine Häwelmann" als auf Rollen gespannte Flugbahn mit Federn oder die aus Stangen und Steinen zusammengestellte "Flut, uraufgeführt" zählen.
Die Kunst der Christiane Möbus verbindet das Kleinste mit dem Größten, sie ist mit flirrenden und flüsternden Bedeutungen aufgeladen und ist dennoch nie eindeutig zu fassen. Dass sich dieses Oeuvre in seiner technischen und thematischen Vielfalt allen gängigen -Ismen entzieht, spricht für den unabhängigen Geist und die fortdauernde Neugier seiner Schöpferin. Und die Magdeburger Ausstellung zeigt erneut, wie findig dieses Museum im Aufspüren seiner Themen ist.
Ausstellung bis zum 6. Mai 2012, Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr