Cecilia Bartoli Cecilia Bartoli: Der Schatten der Schönheit
HALLE/MZ. - Weshalb inszeniert sie sich im aufwendigen Booklet ihrer neuen, wunderschönen CD "Sacrificium" als antiker Schmerzensmann?
Ganz einfach: Die Mezzosopranistin ist - wieder einmal - auf einer Mission. Nachdem sie zuletzt die "Opera Proibita" neu entdeckt und ihre große Vorgängerin Maria Malibran aus dem Vergessen gehoben hat, widmet sie sich nun jenen Sängern, die Cecilia Bartolis Stimmfach zur Zeit des Barock dominierten - den Kastraten. Die Arien von Nicola Porpora und Leonardo Vinici, von Antonio Caldara und Riccardo Broschi, aber auch von Carl Heinrich Graun und Georg Friedrich Händel sind Beispiele für jene Bravourstücke, die dem Publikum im 18. Jahrhundert den blasphemischen Jubel "Evviva il coltellino" -
"Es lebe das Messerchen!" - entlockten. Die Aufnahme mit dem Barock-Ensemble Il Giardino Armonico unter der Leitung von Giovanni Antonini ist ein Memorial für all die Senesinos und Farinellis - und für deren ungezählte Schicksalsgenossen, die trotz Kastration nicht die von ihren Eltern und Lehrern erträumte Gesangs-Karriere machen konnten. Rund 4 000 Knaben sollen in schlimmsten Zeiten jährlich kastriert worden sein - oft unter erbärmlichsten hygienischen Bedingungen und unzureichender Betäubung.
Wie die Stimmen der Glücklicheren geklungen haben, die sich mit dem hohen Preis immerhin Ruhm und Reichtum erkaufen konnten, bleibt Spekulation. Die Geschichte der Tonkonserve begann just in jenen Jahren, in denen die letzten Opfer der Kastration starben. Nur von Alessandro Moreschi (1858-1922), dem letzten Kastraten der Päpstlichen Kapelle, existieren einige Schelllack-Aufnahmen - darunter das "Cruzifixus" aus der "Petite Messe solenelle" von Giachino Rossini, der als Kind selbst nur knapp der Kastration entgangen war. Dass man dort nur einen Schatten jener Schönheit erahnt, den die großen Kastraten-Stimmen in sich trugen, gibt Cecilia Bartoli die nötige Freiheit für ihre eigene Lesart der Stücke, die überwiegend aus der neapolitanischen Schule stammen. Die technischen Hürden aber liegen dennoch extrem hoch.
Denn die Kastration konservierte nicht nur die kindliche Höhe der Stimme, sondern sorgte laut Bartoli zugleich für einen "hormonellen Gewittersturm", der sich auf das Wachstum und den Atemtrakt auswirkte. In einer Arie von Francesco Araia, die zu dem knappen Dutzend Welt-Ersteinspielungen auf ihrer CD gehört, muss sie 30 Takte ohne Atempause singen - eine Herausforderung, die selbst der für ihre schier unendlichen Koloraturen berühmten Künstlerin Höchstleistung abverlangt.
Dass sich der Aufwand gelohnt hat, steht freilich außer Frage: "Sacrificium" ist - auch dank des umfangreichen Kastraten-Lexikons in der Deluxe-Edition - ein Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte jenes düsteren Musik-Kapitels, das spätestens seit dem Film "Farinelli" große Popularität genießt. Da Cecilia Bartoli dabei aber nicht die Sensationsgier bedient, sondern ernsthafte historische Recherche betreibt, ist ihr Werk ein Muss für Barock-Fans.
Wie viele der "Sacrificium"-Arien am Donnerstag in der Händel-Halle erklingen, wenn Cecilia Bartoli mit ihrem halleschen Debüt das ausklingende Händel-Jahr krönt, bleibt abzuwarten. Immerhin, so war im Vorfeld zu erfahren, will sich die jüngst auch in den wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Händel-Haus berufene Künstlerin speziell dem Jubilar widmen - und hat sich sogar Material aus den Archiven der Händel-Ausgabe erbeten. Auch hier ist wieder jene Passion spürbar, mit der sich Cecilia Bartoli jeder Aufgabe widmet - und die sie auch am Donnerstag unter Beweis stellen wird. Denn das ist der Motor ihrer Kunst: Leidenschaft!
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